1923 (Staffel 1) – Ein amerikanisches Blut- und Bodendrama

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Serienposter mit Schriftzug. Ein Mann mit Cowboyhut und eine Frau stehen an einem Holzzaun. Er hat die Hand auf ihre Schulter gelegt.
3 von 5 Sternen

Läuft bei: Paramount+ (1 Staffel, 8 Episoden à 60 Min.)

Mein erster Anlauf, mich mit der Rancherdynastie der Duttons auseinanderzusetzen, verlief im Sand. Die Bemühungen von Kevin Costner als Familienoberhaupt um den Erhalt der «Yellowstone»-Ranch, die seit über 100 Jahren in Familienbesitz ist, waren zu wenig interessant. Nach ein paar Episoden klinkte ich mich aus.

Warum nicht einfach «Bonanza» wiederholen?

Die Serie wirkte aus der Zeit gefallen. Weshalb braucht es heute noch eine Geschichte über Viehzüchter? Man hätte ja einfach «Bonanza» wieder ins Programm setzen können. Da gab’s alles schon mal: Rinder, Pferde, Cowhands, die damals noch Cowboys hiessen, Revolver und Gewehre.

Aber ich gehöre offenbar zu einer Minderheit. «Yellowstone» ist äusserst erfolgreich mit bislang fünf Staffeln und diversen Spin-offs wie jetzt «1923». Wohl weil es eben nicht nur um Viehzucht geht, sondern um Familiengeschichte. Die Dynastie als Topos hat auch ausserhalb des Western eine reiche Geschichte.

Ein älteres Paar steht in der Natur. Er hält einen Stock.
Noch eine Nummer grösser als die vorherigen «Yellowstone»-Darsteller:innen: Harrison Ford und Helen Mirren als Dutton-Patriarch und -Matriarchin. © Paramount+

Dass ich mich doch nochmal an die Duttons heranwagte, liegt nur an Helen Mirren und Harrison Ford. Wenn zwei Stars wie sie auftreten, kann man nicht widerstehen.

Pseudophilosophieren am Lagerfeuer

Allerdings ist es auch ihnen nicht gelungen, mich mit dem Neo-Western zu versöhnen. Mir sträuben sich einfach zu sehr die Nackenhaare, wenn der Patriarch Jacob Dutton (Harrison Ford) am Lagerfeuer pseudophilosophischen Stuss erzählt, um zu rechtfertigen, weshalb er gerade ein paar Männer gelyncht hat.

Jacob faselt von gierigen Menschen, die anderen etwas wegnehmen wollen, was sie erschaffen haben. Das sei in jeder Zivilisation so gewesen, von Rom bis nach Jerusalem und dagegen müsse man sich mit allen Mitteln wehren. Was er wohlweislich vergisst zu erwähnen: Seine Ranch steht auf dem Land, das einst Indigenen gehörte, und gierige Weisse, seine Familie, an sich gerissen haben.

Zwei Männer stehen sich auf der Strasse gegenüber und blicken sich hasserfüllt an.
Banner (Jerome Flynn) legt sich mit Jacob Dutton an und büsst das mit einem Strick um den Hals. © Paramount+

Diese Blut- und Bodenideologie geht mir einfach zu sehr gegen den Strich. Es kostet mich viel Überwindung, darüber hinwegzusehen und andere Aspekte wohlwollend zu betrachten, die die Serie durchaus auch auszeichnen.

Immerhin: Starke Frauenfiguren

Etwa starke Frauenfiguren: Da ist nicht nur Helen Mirren als Jacobs Frau Cara, die sich weder von ihrem Mann noch sonst von einem Cowboy etwas sagen lässt, sondern ihre Meinung durchsetzt. Noch interessanter ist Alexandra (Julia Schlaepfer).

Sie ist eine quirlige englische Lady, die mit einem Jäger durchbrennt, statt einen langweiligen Earl zu heiraten. Der Jäger ist Spencer Dutton, der Neffe von Jacob und Cara, der nach dem Ersten Weltkrieg nach Afrika ging. Alexandra nimmt in keiner Situation ein Blatt vor den Mund, ist witzig und macht Spencer verständnisvoll, aber bestimmt klar, dass sie keine Lust hat, sich mit seinem Kriegstrauma rumzuschlagen.

Ein Mann mit nacktem Oberkörper paddelt in einem Holzboot. Eine nur mit Unterwäsche bekleidete Frau sitzt darin.
Die ganz andere und eigentlich bessere Geschichte: die abenteuerliche Liebe zwischen Spencer Dutton (Brandon Sklenar) und Alexandra (Julia Schlaepfer). © Paramount+

Der ganze Erzählstrang, der sich in Afrika abspielt, bietet nicht nur eine willkommene Abwechslung zur Cowboywelt von Montana. Es ist auch die unterhaltsamere und abenteuerlichere Geschichte, in der ein paar hübsche Boshaftigkeiten sowohl gegen Brit:innen als auch gegen Amerikaner:innen platziert werden.

Die indigene Geschichte – nur ein Feigenblatt?

Was auch nicht fehlen darf in einem Neo-Western, ist der Aspekt der Indigenen. Hier ist es eine junge Frau, Teonna (Aminah Nieves), die in eine Regierungsschule zwangseingewiesen wurde. Die Schule wird von gewalttätigen, sadistischen Nonnen und Priestern geführt, die ihre Schützlinge grausam quälen.

Das macht wütend, schildert wohl historisch akkurat, was jungen indigenen Frauen damals widerfahren ist. Aber bis zum Schluss der ersten Staffel wird nicht klar, ob und wie Teonnas Geschichte zu den Duttons gehört. Deshalb wirkt sie ein wenig wie ein Feigenblatt, weil eben modernes Storytelling über diese Ära nach diversen Figuren verlangt. Abschliessend kann man das erst nach der zweiten Staffel beurteilen.

Ein indigener Mann mit Hut und eine junge Indigene stehen vor einem Hütteneingang.
Teonna (Amina Nieves) flieht aus der Schule und findet bei Hank (Michael Greyeyes) Unterschlupf. © Paramount+
Warten auf die zweite Staffel – und Jacob Duttons Abgang

Wie überhaupt kein einziger Plot der Geschichte über die Duttons in der ersten Staffel abgeschlossen wird. Das frustriert, auch wenn Taylor Sheridan, der Autor der «Yellowstone»-Reihe, schon zu Beginn angekündigt hat, dass «1923» auf 20 Episoden ausgelegt ist.

Ob ich mir die zweite Staffel zumuten werde? Wahrscheinlich schon. Was mit Teonna, Spencer und Alexandra passiert, das möchte ich noch erfahren. Jacob dagegen wird es wohl eh nicht mehr lange machen. Er hat jetzt schon oft darüber sinniert, wie alt er sei. Also kann er hoffentlich nicht mehr allzu viel ideologischen Bullshit absondern.

PS: Wer einen wirklich gelungenen Neo-Western sehen will – den gibt es auch: «The English». Inszeniert von einem Briten und von A bis Z überzeugend.

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13 Stimmen

Besetzung: Helen Mirren | Harrison Ford | Brandon Sklenar | Julia Schlaepfer | Jerome Flynn | Darren Mann | Isabel May | Aminah Nieves | Brian Geraghty | Michelle Randolph | Caleb Martin | Robert Patrick | Timothy Dalton
Serie entwickelt von: Taylor Sheridan
Genre: Western | Drama
USA, 2022

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