Bonn – Alte Freunde, neue Feinde (Mini-Serie) – Wie Nazis nach dem Krieg weiter den Ton angaben

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Serienposter mit Schriftzug. Vier Hauptfiguren, eine Frau und drei Männer in Halbkörperansichten von der Seite vor einem dunkelroten Hintergrund.
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Netflix / ARD Mediathek (geoblocked) (Mini-Serie, 6 Episoden à 45 Min.)

Deutschen Serien über die Vor- oder Nachkriegszeit (und eigentlich egal, ob Erster oder Zweiter Weltkrieg) kann ich fast nicht widerstehen. Es waren spannende Zeiten, die in bedeutende historische Ereignisse mündeten oder daraus hervorgingen.

Da lässt sich relativ einfach mit fiktiven Figuren, die sich in einem historischen Kontext bewegen, eine packende Geschichte erzählen. «Bonn – Alte Freunde, neue Feinde» folgt diesem bewährten Muster. Diesmal allerdings mit einer Geschichte, die etwas weniger bekannt sein dürfte. Was nicht heisst, dass sie weniger spannend ist.

Tipps für historische Deutschland-Serien
Die alten Seilschaften und die junge Frau

Die 20-jährige Toni Schmidt (Mercedes Müller) lernt bei einer Party ihrer englischen Gastfamilie in London das deutsche Ehepaar John kennen. Gefeiert wird das neue Jahr 1954.

Otto John (Sebastian Blomberg) schlägt Toni vor, dass sie sich beim ihm melden soll, wenn sie zurück sei in der BRD. Seine Dienststelle könne junge, aufgeweckte Frauen wie sie brauchen. Er gibt ihr seine Visitenkarte, die ihn als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ausweist.

Aber es kommt anders. Als Toni nach ihrer Rückkehr ankündigt, sie wolle nicht bei ihrem Verlobten (Julius Feldmeier) im Geschäft als Verkäuferin arbeiten, lässt ihr Vater Gerd (Juergen Maurer) seine Beziehungen spielen.

Ein junger Mann und eine junge Frau stehen in einem Geschäft. Er zeigt ihr stolz, was alles angeboten wird.
Tonis (Mercedes Müller) Beziehung zu ihrem Verlobten Hartmut (Julius Feldmeier) entwickelt sich nicht, wie mal geplant, sondern wird zur Emanzipationsgeschichte am Rande. © ARD / Odeon Fiction

Er vermittelt Toni eine Stelle in der Organisation Gehlen, dem Auslandsgeheimdienst der BRD. Reinhard Gehlen (Martin Wuttke) ist ein alter Freund von Gerd Schmidt, was zu dieser Zeit fast immer gleichbedeutend ist damit, dass man sich aus Kriegszeiten kennt. Beide waren hohe Wehrmachtsoffiziere.

Toni gerät zwischen die Fronten

Was Toni nicht ahnt: Sie gerät damit mitten in den Konflikt, der zwischen Gehlen und John und ihren Dienststellen herrscht. Otto John war NS-Widerstandskämpfer, war Mitglied der Gruppe um Graf Stauffenberg, die 1944 das Attentat auf Hitler verübte. Jetzt lässt er seine Agenten nach untergetauchten Nazis fahnden, obwohl das nicht zum Grundauftrag des Verfassungsschutzes gehört.

Gehlen dagegen ist dafür besorgt, dass die alten Kameraden in der neuen BRD nicht verfolgt werden. Teilweise beschafft er ihnen Jobs in seinem Geheimdienst. Anderen verhilft er zur Flucht, wie etwa Alois Brunner, der als rechte Hand von Adolf Eichmann für die Vernichtung der Juden mitverantwortlich war.

Eine junge Frau und ein älterer Mann mit dunkler Brille sitzen als Zuschauer auf einer Bank im Gerichtssaal.
Reinhard Gehlen (Martin Wuttke) macht seinem alten Wehrmachtsfreund gerne den Gefallen und stellt seine Tochter bei sich ein. © ARD / Odeon Fiction
Geschichte emotional verpackt

Für Toni wird dieser Konflikt, der sich im Kern um die Entnazifizierung der deutschen Gesellschaft dreht, sehr persönlich. Ihr Vater hütet ein dunkles Geheimnis aus der Kriegszeit, bei dem es um Tonis Bruder geht, der im Krieg gefallen ist.

Es bleibt nicht der einzige Plot in der Serie, bei dem die Aufarbeitung der Geschichte auf eine persönliche, emotionale Ebene gehoben wird. Johns Agent Wolfgang Berns (Max Riemelt) ist besessen davon, Alois Brunner zu erwischen. Was er für eine Rechnung mit dem Kriegsverbrecher offen hat, erfahren wir erst gegen Ende.

Ein neuer Feind lässt Nazis ungeschoren davon kommen

Ob all der persönlichen Verstrickungen kommt der grosse historische Skandal fast etwas zu kurz. Es ist eben nicht nur Gehlen, der kein Interesse hat, Nazi-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu stellen. Diese Gesinnung ist bis in die obersten Stufen der Regierung Adenauer verbreitet.

Ein Mann steht vor einer Pinwand, an der Porträts von deutschen Kriegsverbrechern hängen.
Otto John (Sebastian Blomberg) kämpft auf verlorenem Posten. Kaum jemand in der BRD hat ein grosses Interesse daran, die alten Nazis zu verfolgen. © ARD / Odeon Fiction

Aber nicht nur das. Auch den US-Amerikanern ist es zunehmend egal, wenn Nazis in der BRD frei herumlaufen. Denn es gibt einen neuen Feind, den man um jeden Preis bekämpfen will und sich dafür auch mit alten Nazis verbündet: die Sowjetunion und die Kommunisten.

Diese Entwicklung zeigt sich zwar in einer zentralen Szene der Serie. Dennoch ist es etwas unbefriedigend, dass das Ausmass der gescheiterten Entnazifizierung der BRD nie wirklich deutlich wird.

Gut und Böse waren nicht so eindeutig

Gleich von einer Geschichtsklitterung zu sprechen, wie das der Politikwissenschaftler Claus Leggewie in einem Beitrag auf Geschichte der Gegenwart tut, finde ich etwas hart. Letztlich reden wir über eine fiktionale Serie, die sich an historische Tatsachen halten muss, aber ein paar erzählerische Freiheiten herausnehmen darf.

Interessant ist aber, wie Leggewie die Rolle von John und des Bundesamtes für Verfassungsschutz relativiert. Auch in dieser Organisation hätten einige ehemalige Nazis Unterschlupf gefunden, sagt er. So eindeutig scheint es also nicht zu sein, dass John der Gute und Gehlen der Böse war, wie die Serie das schildert.

Ein Mann auf einem zeitgenössischen Motorrad. Er spricht mit einer jungen Frau, die auf dem Gehsteig steht.
Wolfgang Berns (Max Riemelt) wird von John auf Toni angesetzt. Was zu ein bisschen mehr führt als nur Informationsbeschaffung. © ARD / Odeon Fiction
Der Skandal, der in der Serie nicht vorkommt

Man sollte sich nach der Serie sowieso die Dokumentation dazu ansehen (leider nicht auf Netflix und geoblocked bei der ARD). Sie vertieft einiges zum Zeitgeist in der BRD Mitte der 50er-Jahre und den historischen Figuren aus der Serie, allen voran Gehlen und John.

Zudem erfährt man von einem weiteren Skandal, der in der Serie nicht vorkommt. John wurde 1956 wegen Landesverrats verurteilt, weil er nach Ost-Berlin gereist war. Entführt, wie er sagt, untergetaucht, wie ihm die Justiz vorwarf.

Gehlens Kommentar dazu war entlarvend: «Einmal Verräter, immer Verräter!» Womit er deutlich machte, wie er Johns Beteiligung am Hitler-Attentat einstuft. Die Richter, die John verurteilten, sollen übrigens auch zumindest teilweise überzeugte Nazis gewesen sein.

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Besetzung: Mercedes Müller | Max Riemelt | Sebastian Blomberg | Martin Wuttke | Juergen Maurer | Katharina Marie Schubert | Inga Busch | Luise von Finckh | Julius Feldmeier
Serie entwickelt von: Gerrit Hermans
Genre: Historie | Thriller | Drama
D, 2023

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