Queen Charlotte (Mini-Serie) – Kostümkitsch trifft auf alternative Geschichtsschreibung

Serienposter mit Schriftzug. Eine junge Frau im Porträt. Sie trägt ein Diadem im Haar und funkelnde Ohrringe und eine Halskette.
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Netflix (Mini-Serie, 6 Episoden à 60 Min.)

Serien-Universen sind schwer in. Prequels, Sequels und Spin-offs von erfolgreichen Titeln melken die Kuh, bis die Milch versiegt. So auch die Bridgerton-Welt.

In den letzten zwei Staffeln erreichten der älteste Sohn und die älteste Tochter der Familie Bridgerton unter romantischen Irrungen und Wirrungen endlich den Hafen der Ehe. Jetzt erzählt das Prequel «Queen Charlotte», wie die deutsche Prinzessin Sophie Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz König George III. heiratete und Königin von Grossbritannien wurde.

Das Königspaar mit Kronen in prunkvollen Kleidern.
Eine Ehe unter Deutschen: Nicht nur Charlotte (India Amarteifio) gehörte zu einem deutschen Adelsgeschlecht. Ihr Mann George (Corey Mylchreest) war der dritte britische Herrscher, der aus dem Haus Hannover stammt. © Netflix
Das grosse gesellschaftliche Experiment

Dabei konzentriert sich die Serie ganz auf den Mikrokosmos des Königspaars mit seinem Hofstaat. Damit aber niemand auf die Idee kommt, historische Vergleiche anzustellen, erklärt ein Disclaimer gleich zu Beginn, dass es die Hauptpersonen zwar gegeben hat, ihre verfilmte Geschichte jedoch Fiktion ist.

Durch die Heirat mit der Schwarzen Königin (India Amarteifio) verbinden der Hof und die führenden Politiker in «Queen Charlotte» das «Great Experiment», die umstrittene Aufnahme von begüterten Schwarzen Familien in die adlige Gesellschaft. Damit zeigt die Serie, wie das Leben in der privilegierten britischen Oberschicht des 18. Jahrhunderts auch hätte sein können.

Zwei luxuriös gekleidete Frauen stehen sich gegenüber. Im Hintergrund vier Diener.
Die künftige Königin wird kritisch beäugt von der Königsmutter Augusta (Michelle Fairley). © Netflix

Diese Vision ist nicht ganz verkehrt, stellte doch das britische Unterhaus 1807, also während der Herrschaft von George III., den Handel mit Sklaven tatsächlich unter Strafe. Die Realität sah allerdings anders aus.

Obwohl der Handel verboten war, durften Besitzer von Sklaven diese weiter behalten, ausbeuten und misshandeln. Bevor die Sklaverei in der westlichen Welt abgeschafft war, vergingen noch Jahrzehnte.

Spagat zwischen Kostümkitsch und aktuellen Themen

Charlotte und George gingen 1761 eine arrangierte Ehe ein und begegneten sich am Tag der Hochzeit zum ersten Mal. Aus dieser historisch verbürgten Konstellation entwickelt die Bridgerton-Schöpferin und Produzentin Shonda Rhimes ein romantisches Liebesdrama mit Binge-Potenzial.

Eine Frau sitzt alleine an einer festlich geschmückten Tafel umgeben von Bediensteten in einem pompösen Raum.
Wie üblich in der Bridgerton-Welt: Pompös inszeniert vom Setdesign bis zu den Kostümen. © Netflix

Sie schafft den Spagat zwischen üppigem Kostümkitsch und alternativer Geschichtsschreibung. Sie thematisiert das aktuelle Anliegen gesellschaftlicher Diversität und sozialer Gleichstellung, indem sie ein Märchen aus alter Zeit auf unterhaltende und für die Gegenwart relevante Weise erzählt.

Wie viele Sterne gibst du «Queen Charlotte: A Bridgerton Story»?
3 Stimmen

Besetzung: India Amarteifio | Adjoa Andoh | Michelle Fairley | Ruth Gemmell | Corey Mylchreest | Golda Rosheuvel | Arsema Thomas | Sam Clemmett | Freddie Dennis | Hugh Sachs | Julie Andrews | Richard Cunningham
Serie entwickelt von: Shonda Rhimes
Genre: Historie | Romanze | Biografie
USA, 2023

La Legge di Lidia Poët (Staffel 1) – Üppig inszenierter Kostüm-Krimi

Serienposter mit Schriftzug. Eine Frau am Schreibtisch mit den Beinen auf dem Tisch. Hinter ihr stehen zwei Männer neben einem Fenster. Alles im Ambiente des 19. Jahrhunderts.
3 von 5 Sternen

Läuft bei: Netflix (1 Staffel, 6 Episoden à 45 Min.)

Eigentlich ist Lidia Poët (Matilda De Angelis) Anwältin. Eigentlich, denn sie hat zwar als erste Frau in Italien das Jus-Studium absolviert, aber dann wird sie aus der Anwaltskammer von Turin rausgeworfen.

Die Szene vor Gericht, als ihr Rauswurf verkündet wird, ist zum Schreien: wahlweise aus Empörung oder mit ungläubigem Gelächter. Fünf alte Richter geben der jungen Frau den Tarif durch.

Frauen sind biologisch nicht geeignet

Die Justiz würde an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn Frauen in ihren bizarren Kleidern vor Gericht aufträten. Und überhaupt: Für diesen Beruf seien Frauen rein biologisch nicht geeignet und würden von ihrer eigentlichen Aufgabe abgehalten – nämlich zu gebären.

Eine Frau steht vor einer Abschrankung in einem Gerichtssaal. Ein Fotograf links daneben im Hintergrund Zuschauer.
Lidia Poët (Matilda De Angelis) muss sich von den Richtern einiges anhören, als ihr die Zulassung entzogen wird. © Netflix

Der Rauswurf ist tatsächlich passiert. Lidia Poët ist eine historische Figur. Allerdings ist die Netflix-Show keine Biografie, sondern vor allem eine Krimiserie, die in Kostümen und dem Dekor des ausklingenden 19. Jahrhunderts schwelgt. Mit wenigen Ausnahmen wie eben dem Berufsverbot sind die Ereignisse frei erfunden.

Spitze Bemerkungen gegen überholte Vorstellungen

Die Ereignisse, das sind dann die Kriminalfälle, die Lidia aufklärt, obwohl sie nicht vor Gericht auftreten kann. Sie tut das als Assistentin ihres Bruders Enrico (Pier Luigi Pasino), der ebenfalls Anwalt ist.

In jeder Episode löst sie einen Fall und stellt unter Beweis, dass das Problem nicht Frauen in bizarren Kleidern sind, sondern die selbstzufriedenen Machos, die trotz mangelnder Kompetenz in hohen Ämtern landen.

Ein halbrunder Raum. Vier Leichen liegen auf Seziertischen. Eine Frau steht hinter einem dieser Tische. Männer beobachten die Arbeit von zwei Ärzten an einem anderen Tisch.
Stilvoll ausgestattet bis in die Leichenhalle. © Netflix

Die Mordfälle und deren Aufklärung sind ungewohnt gemächlich inszeniert. Eher vornehm und gediegen, passend zur Kleidung, die die Beteiligten tragen. Dennoch ist das unterhaltsam und vor allem auch witzig. Denn Lidia bringt immer wieder die eine oder andere spitze Bemerkung gegen überholte gesellschaftliche Vorstellung unter.

Die Emanzipationsgeschichte wird verschenkt

Von einer Emanzipationsgeschichte ist allerdings kaum etwas zu spüren. Lidias Bemühungen um ihre Zulassung begleiten uns zwar über alle Episoden hinweg. Aber dieser Erzählstrang wirkt sehr zweitrangig. So richtig als Kämpferin für Frauenrechte gibt sich Lidia nie. Im Gegenteil: Ihre beiden Liebhaber Andrea (Dario Aita) und Jacipo (Eduardo Scarpetta) scheinen ihr fast wichtiger.

Ein Mann und eine Frau auf einem Maskenball.
Der Maskenball, den Lidia mit ihrem Liebhaber Andrea ((Dario Aita) besucht, erweist Kubricks «Eyes Wide Shut» die Reverenz. © Netflix

Hier verschenkt sich die Serie eine interessantere Charakterisierung und fällt selber etwas in überholte Rollenklischees zurück. Trotz allem bietet «La Legge di Lidia Poët» vergnüglichen Seriengenuss und vor allem viel fürs Auge für Freund:innen von Kostümdramen.

Die Umfrage ist beendet

Wie viele Sterne gibst du «La legge di Lidia Poët» (Staffel 1)?
14 Stimmen

Besetzung: Matilda De Angelis | Eduardo Scarpetta | Pier Luigi Pasino | Sinéad Thornhill | Sara Lazzaro | Dario Aita
Serie entwickelt von: Guido Iuculano | Davide Orsini
Genre: Historie | Krimi | Biografie
ITA, 2023

Pistol (Mini-Serie) – Als die Wut zu Musik wurde

Serienposter. Vier junge Männer, gezeichnet. Zwei tragen eine Sonnebrille. Einer macht das Victoryzeichen mit seiner Hand. Schriftzüge der Serie.

Läuft bei: Disney+ (Mini-Serie, 6 Episoden à 50 Min.)

England Mitte der 1970er-Jahre: stockkonservativ und verkalkt. So präsentiert Regisseur Danny Boyle das Land in Originalaufnahmen gleich zu Beginn. Und so erleben es die vier, respektive fünf Jungs, die als «Sex Pistols» die Anarchie im United Kingdom ausrufen werden.

«I hate Pink Floyd»? Sicher nicht

Der Teenager aus der Schweiz, der um die Zeit die Insel zum ersten Mal besuchte, erlebte London allerdings mehr als die grosse Erleuchtung. Da gab es Rockopern im Theater, riesige Läden, die nur Platten verkauften, und junge Leute, die alle viel cooler angezogen waren als er und seine Altergenoss:innen zu Hause.

Über die Jahre lernte ich das Land zwar besser kennen und kann die Frustration der Punks nachvollziehen. Aber mit ihrer Musik konnte ich nie viel anfangen. Was ist schon von einem Sänger zu halten, der ein T-Shirt trägt mit der Aufschrift «I Hate Pink Floyd» (was zwar angeblich gar nicht stimmt)?

Weisses T-Shirt mit Aufschrift "I HATE PINK FLOYD" und den Köpfen der vier Bandmitglieder von Pink Floyd.
Das «I Hate Pink Floyd»-T-Shirt von Johnny Rotten erhielt sogar einen Platz in der Ausstellung «Pink Floyd: Their Mortal Remains». Ich hab’s immerhin fotografiert 😜. CC BY-NC-SA 4.0 Patrick Bürgler
An der Seele des Punks vorbei erzählt?

Vielleicht sind das aber die besseren Voraussetzungen, um «Pistol» zu schauen, als wenn man ein Punk- oder «Sex Pistol»-Fan ist. Mir fehlt das Detailwissen über die Band und die Bewegung.

In einigen kritischen Besprechungen wird «Pistol» das vorgehalten. Die Serie gehe nicht in die Tiefe, erzähle nicht die wahre Geschichte, treffe nicht die Seele der Pistols und des Punks.

Als Kronzeuge dieser Anklage tritt John Lydon (aka Johnny Rotten) auf. Er klagte vor Gericht gegen die «Pistol»-Produktion, weil er mit der Darstellung seiner Person unzufrieden war. Er verlor.

Rohe Kraft und Wut

Lydons Missmut hat viel damit zu tun, dass die Serie auf den Memoiren von Steve Jones basieren. «Lonely Boy: Tales from a Sex Pistol» erzählt die Geschichte vor allem aus der Perspektive des Gründers und Gitarristen der Band. Da dreht sich eben nicht alles um den charismatischen, aber auch egomanischen Frontmann. Johnny Rotten taucht erst in der zweiten Episode auf.

Aus meiner Sicht ein starker Auftritt (im ominösen «Pink Floyd»-T-Shirt). Rotten (Anson Boon) macht nach anfänglichem Zögern deutlich, welch rohe Kraft und Wut er auf die Bühne bringt. Steve Jones (Toby Wallace), der gerne selber Sänger der Band gewesen wäre, muss die Segel streichen.

Vier junge Männer mit zwei Koffern für Musikinstrumente und einem Verstärker.
Die «Sex Pistols» vor einem ihrer ersten Auftritte – als Vorband. © FX / Disney+
Spuckduell mit dem Publikum

Die Auftritte der «Sex Pistols», die danach zu sehen sind, strotzen vor Wildheit und Verstärkern, die zu explodieren drohen. Ob sich die Band ein widerliches Spuckduell mit dem Publikum liefert, in einem Gefängnis die Insassen von den Stühlen reisst oder auf einer Nordengland-Tour die gut frisierten Teenies aus dem Ballsaal rausdröhnt – diese Momente sind stark.

Neben den Pistols bereichern noch weitere eindrucksvolle Charaktere die Serie, die die den rebellischen Zeitgeist verkörpern und vorantreiben. Malcolm McLaren (Thomas Brodie-Sangster), der Manager der Pistols, der (meist) geschickt das Image der Band steuert.

Glorios: Jordan, Queen of Punk

Etwas zu wenig zur Geltung kommt Vivienne Westwood (Talula Riley). Sie war McLarens Partnerin, aber vor allem die Designerin, die dem Punk ein Aussehen gab.

Glorios auch der Auftritt von Jordan (Maisie Williams), die Queen of Punk. Sie fährt zur Arbeit in Westwoods Boutique. Sie trägt einen Rock und einen durchsichtigen Mantel, darunter nichts. Entsetzte und lustvolle Blicke begleiten sie.

Eine Frau mit hochgestylten weissen Haaren und stark schwarz geschminkter Augenpartie.
Jordan (Maisie Williams) wird zur Stil-Ikone des Punks. © FX / Disney+

Im Zug bietet ihr der Schaffner einen Platz in der weniger vollen ersten Klasse an – inklusive gratis Tee und Toast. Das nimmt Jordan dankend an: «Provocateuring does make one quite hungry.»

Chrissie Hynde, die wohl einzige wahre Musikerin in der Runde

Dann ist da noch Chrissie Hynde (Sydney Chandler). Dass sich die Wege der späteren «Pretenders»-Frontfrau tatsächlich mit den Pistols gekreuzt haben, wusste ich nicht. Beweist aber nur wieder meine mangelnden Kenntnisse der Musikgeschichte.

Ihre Beziehung mit Steve Jones erhält viel Raum. Das übertüncht fast etwas zu sehr den grossen Frust, mit dem Hynde zu kämpfen hat. Obwohl sie im Umfeld von McLaren wohl die beste Musikerin ist, bekommt sie von ihm keine Chance.

Zwei Frauen. Eine dunkelhaarig mit grünem Pullover. Die andere blond in einem roten Kleid.
Chrissie Hynde (Sydney Chandler) lernt die «Sex Pistols» über ihren Job bei Vivienne Westwood (Talulah Riley) kennen. © FX / Disney+
Kraftvoll, laut und intensiv

Ihr vermisst Sid Vicious? Er taucht ebenso auf, wie Nancy. Weil die tragische Geschichte dieses Paars aber schon anderweitig oft erzählt wurde (bspw. in «Sid and Nancy», 1986) fokussiert die Serie weniger, aber nicht weniger berührend darauf.

«Pistol» lässt – nochmal: aus der Sicht des Musikinteressierten, aber nicht -Kenners – die Geburtsstunde des Punks und der «Sex Pistols» in einem kraftvollen, lauten und intensiven Zeitgemälde aufleben.

Wie das Fans und Kenner:innen sehen? Lasst es mich wissen.

Die Umfrage ist beendet

Wie viele Sterne gibst du «Pistol»?

Besetzung: Toby Wallace | Anson Boon | Sydney Chandler | Jacob Slater | Talulah Riley | Maisie Williams | Thomas Brodie-Sangster | Louis Partridge
Serie entwickelt von: Craig Pearce
Genre: Biografie | Historie | Musik
GB/USA, 2022

Gaslit (Mini-Serie) – Die Frau, die Nixon stürzen wollte

Läuft bei: Sky (Mini-Serie, 8 Episoden à 50 Min.)

Am 27. Januar 1972 präsentiert der ehemalige FBI-Agent G. Gordon Liddy (Shea Whigham) dem «Committee for the Re-Election of the President» (CRP) die Operation «Gemstone». Er unterbreitet eine Reihe von Vorschlägen, wie der Wahlkampf der gegnerischen Demokraten sabotiert werden könnte: Entführungen, Sex-Skandale mit Prostituierten, Abhöraktionen.

Den Anwesenden, darunter Justizminister John Mitchell (Sean Penn) und Präsidentenberater John Dean (Dan Stevens), sind diese Pläne dann doch etwas zu radikal, vor allem auch zu teuer. Mitchell bewilligt später, dannzumal als CRP-Chef, lediglich die Abhöraktionen.

Die Geschichte der Nebenfiguren

Der Rest ist Geschichte. Der zweite Einbruch im Juni 1972 ins Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Hotel fliegt auf. Das FBI beginnt zu ermitteln.

«Gaslit» erzählt die Aufdeckung des Watergate-Skandals aus der Perspektive von Figuren, die historisch eher am Rand erwähnt werden. Nicht Nixon steht im Zentrum, sondern allen voran das Ehepaar Mitchell.

«The mouth of the south»

Martha Mitchell (Julia Roberts) ist alles andere als die still lächelnde Gattin an der Seite ihres Mannes. Sie weiss, was politisch läuft, weil sie ihren Mann belauscht. Sie ist beliebter Gast in Talkshows, weil sie mit ihrer Meinung nicht zurückhält, und bestens vernetzt mit Journalist:innen. So hat sie sich ihren Spitznamen verdient: «The mouth of the south».

Als der Watergate-Skandal auffliegt, will Martha mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit, um Nixon zu Fall zu bringen. Das führt zu massiven Problemen mit ihrem Mann. John greift zu haarsträubenden Massnahmen, um zu verhindern, dass seine Frau die Presse kontaktiert.

Die weiteren Erzählstränge widmen sich John Dean, Gordon Liddy, aber auch dem Wachmann Frank Willis, der den Einbruch entdeckt hat.

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Einschätzung

«Gaslit» liefert üppiges Drama, fesselnde bis aberwitzige Figuren. Der Erzählton wechselt nahtlos von Tragik ins Komische bis hin zum Absurden. Zum Glück gibt’s noch Figuren, die beinahe so etwas wie Normalität leben in dieser wahnwitzigen Geschichte.

Auf dem Weg zum Abgrund

Das Hauptmotiv sind die Szenen einer Ehe inmitten eines Politskandals. Was Martha und John Mitchell überhaupt zusammenbrachte, erschliesst sich zwar nie ganz. Vielleicht war es ihre Unbändigkeit, die John faszinierte, und sein Machtwille, der ihr imponierte.

Wir begegnen den beiden, als Marthas öffentliche Auftritte für John zum Problem werden. Alles, was weiter passiert, führt Schritt für Schritt zum Zusammenbruch der Ehe. Was am Ende übrig bleibt, ist vielleicht nicht blanker Hass, aber eine tiefe Abneigung.

Please nail him

Nachdem John zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, meinte er lakonisch: «It could have been worse. They could have sentenced me to spend the rest of my life with Martha Mitchell.» Martha wollte nach der Trennung von John den beiden Watergate-Enthüllern Woodward und Bernstein Unterlagen ihres Mannes zur Verfügung stellen und bat die beiden: «Please nail him. I hope you get that bastard.»

Auch wenn Martha massiv misshandelt wird von ihrem Mann und er ihren Ruf zerstört – sie ist nicht nur das Opfer. Sicher hatte sie recht mit ihren Anschuldigungen gegen Nixon. Ihr Motiv, das öffentlich zu machen, basiert zumindest in der Serie nicht nur auf dem Wunsch nach Gerechtigkeit.

Martha würde heute bei Fox News auftreten

Da ist ebenso ihr Wille, den Ruf und ihr gesellschaftliches Ansehen zu bewahren. Und es ist ihre Lust, im Scheinwerferlicht zu stehen. «Gaslit»-Macher Robbie Pickering beschreibt Martha Mitchell als «conservative cheerleader», wie man sie heute von Fox News kenne.

Julia Roberts und Sean Penn spielen ihre Figuren eindringlich. Es verursacht schon fast physische Schmerzen, zusehen zu müssen, wie sich dieses Paar gegenseitig zerfleischt.

John und Mo Dean – das Kontrast-Paar

Da braucht es schon den Kontrast mit John und Mo Dean, damit man durchhält. Er ist zwar ebenfalls tief verstrickt in den Skandal. Gemeinsam mit seiner Frau findet er aber einen anderen Umgang damit.

Das macht ihn nicht weniger schuldig, auch nicht zwingend sympathisch. Zumindest schaffen es die beiden aber, ihre Leben nicht zu zerstören.

Gordon Liddy – durchgeknallt und landesweit erfolgreich

Ein ganz anderes Kapitel schlägt die Serie mit der Figur von Gordon Liddy (Shea Whigham) auf. Er ist der völlig durchgeknallte Organisator des Watergate-Einbruchs, der sich als wehrhafter Kämpfer gegen alles Böse in dieser Welt sieht, worunter nicht nur Kommunisten oder Demokraten fallen, sondern auch Juden.

Liddy wird als Hitler-verehrender Faschist und gewalttätiger Psychopath geschildert, der auch die Ermordung eines nicht genehmen Journalisten plante. Man mag es kaum glauben, aber offenbar ist das alles belegt.

Noch unglaublicher ist nur, dass Liddy nach seiner Freilassung eine erfolgreiche Karriere verfolgte, unter anderem mit einer eigenen Radiosendung, die landesweit ausgestrahlt wurde.

Watergate ist Geschichte, oder?

«Gaslit» zeigt den Watergate-Skandal zum 50-Jahre-Jubiläum der Ereignisse aus einer ganz anderen Perspektive, als man sie bisher gekannt hat. Dabei jagen einem die verschiedenen Geschichten ab und zu einen Schauer über den Rücken.

Wohlig ist dieser Schauer nicht, auch wenn Watergate Geschichte ist. Wir haben erst gerade erlebt, wozu ein US-amerikanischer Präsident und seine willigen Gefolgsleute auch heute fähig sind. Eine Martha Mitchell war weit und breit nicht zu sehen.

Die Umfrage ist beendet

Wie viele Sterne gibst du «Gaslit»?

Besetzung: Julia Roberts | Sean Penn | Dan Stevens | Betty Gilpin | Shea Whigham | Darby Camp | Chris Bauer
Serie entwickelt von: Robbie Pickering
Genre: Historie | Biografie
USA, 2022

Clark (Mini-Serie) – Frauenschwarm und Polizistenschreck

Läuft bei: Netflix (Mini-Serie, 6 Episoden à 60 Min.)

Stockholm 1973: In der «Kreditbanken» hat ein Räuber vier Geiseln genommen. Er verlangt, dass Clark Olofsson (Bill Skarsgård) in die Bank kommt. Was auch geschieht. Es ist der Höhepunkt der Karriere von Olofsson.

Clark Olofsson ist allerdings nicht etwa der Verhandlungsführer der Polizei. Er ist selber ein Krimineller, der wegen Bankraubes und schwerer Körperverletzung mal wieder einsitzt.

Schwedens Promi-Gangster Nr. 1

Clark Olofsson ist eine reale Figur, über den es mehrere Bücher und Filme gibt. Er gilt als der erste Promi-Gangster Schwedens und erlangte schon vor der Geiselnahme in Stockholm nationale Berühmtheit.

Mit dem «Norrmalmstorgsdramat» ging er aber auch international in die Geschichte ein, denn auf diese Geiselnahme geht der Begriff «Stockholm Syndrom» zurück.

«Clark» schildert die Karriere dieses Kriminellen, die sich im ewigen Kreis von Verbrechen, Gefängnis, Ausbruch, Partys, Liebschaften dreht, immer unter grosser Anteilnahme der Öffentlichkeit.

Ich finde

Wäre die Geschichte von Clark Olofsson fiktional, man hielte sie für übertrieben. Tatsächlich stimmt vieles, was die Serie erzählt.

Beispielsweise, dass Clark nach seinem ersten Ausbruch aus der Besserungsanstalt für Jugendliche in das Landgut des schwedischen Premierministers eindrang. Allerdings traf er dort nicht auf den Premierminister selbst, wie die Serie erzählt, sondern nur auf den Gärtner.

Frauenschwarm und Polizistenschreck

Auch seine Beliebtheit in der Öffentlichkeit und vor allem bei Frauen beruht offenbar auf Tatsachen. Selbst die trotteligen Polizisten sind nicht frei erfunden, wenn auch ihre Inkompetenz Slapstick-artig überzeichnet ist.

Bill Skarsgård spielt Clark mit gnadenloser Wucht. Ein narzisstischer Psychopath, der sich äusserst charmant geben kann. Im Grunde schert er sich aber einen Dreck um andere. Im Zentrum steht immer nur einer: Clark Olofsson.

Das zeigt sich insbesondere bei seinen Liebesbeziehungen. Frauen betört er, belügt und hintergeht sie, lässt sie – mit Kind – sitzen. Erstaunlicherweise hält das manche Freundin nicht davon ab, immer wieder auf ihn hereinzufallen.

Freigeist der 68er-Ära ad absurdum geführt

Den Zuschauenden mag es ähnlich gehen. Clark fasziniert. Rückblenden in seine Kindheit mögen vielleicht sogar so etwas wie Verständnis aufkommen lassen dafür, weshalb Clark zu dem wurde, was er ist.

Aber gleichzeitig wird diese Haltung in der Serie unterhaltsam persifliert. Der Zeitgeist der 68er-Ära mit Gefängnisreformen, Täterrehabilitation, freier Liebe und freiem Individuum wird durch Clark ad absurdum geführt. Er nutzt all das zu seinem eigenen Vorteil aus.

Faszinierend und abstossend – gut inszeniert

Deshalb passt der Vergleich zu ähnlichen Gangsterkomödien wie «Catch Me If You Can» nicht ganz. Der Hochstapler Frank (Leonardo DiCaprio) bleibt bis am Schluss sympathisch, auch weil er relativ harmlos ist.

Clark dagegen ist alles andere als harmlos. Er hinterlässt eine Spur von Verwüstung auf seelischer und physischer Ebene und bleibt schlicht nicht gesellschaftsfähig.

Der Serie gelingt es aber sehr ansprechend, dieses Hin und Her zwischen Faszination und Abstossung über sechs Episoden zu inszenieren.

Die Umfrage ist beendet

Wie viele Sterne gibst du «Clark»?

Besetzung: Bill Skarsgård | Vilhelm Blomgren | Sandra Ilar | Hanna Björn
Genre: Krimi | Komödie | Biografie
SWE, 2022

The Dropout (Mini-Series) – Mit Lug und Trug zur Milliardärin im Silicon Valley

Läuft bei: Disney+ (Mini-Series, 8 Episoden à 45 Min.)

Wer die wahre Geschichte von Elizabeth Holmes und ihrer Firma Theranos nicht kennt und sich die Spannung erhalten will, sollte jetzt nicht weiterlesen, sondern einfach die Serie schauen.

Elizabeth (Amanda Seyfried) weiss, was sie will. Kurz bevor sie in Stanford ihr Studium beginnt, verkündet sie: «Ich will Milliardärin werden.» Und das wird sie.

Nach zwei Jahren bricht sie ihr Studium ab und gründet die Firma Theranos. Ihre revolutionäre Idee: ein Gerät zu entwickeln, das mit nur einem Tropfen Blut Dutzende Diagnosen erstellt. Das Gerät soll zudem so klein sein, dass man es bei sich zuhause aufstellen kann.

Es folgt ein kometenhafter Aufstieg. Nach einigen Jahren ist Theranos mit neun Milliarden Dollar bewertet, Elizabeth als die jüngste Selfmade-Milliardärin auf den Titelblättern von Forbes und Fortune und bestens vernetzt unter Amerikas Reichen und Mächtigen.

Es gibt allerdings ein Problem. Das Gerät funktioniert nicht. Mit Tricks, Betrug und Drohungen verheimlicht Elizabeth über Jahre, dass ihre Firma auf einer Lüge basiert. Nur langsam gelingt es einem Reporter des Wall Street Journals, diesen Betrug zu enthüllen.

Ich finde

Die Geschichte vom Aufstieg und Fall von Elizabeth Holmes ist unglaublich faszinierend und abstossend zugleich. Das bringt «The Dropout» auch gut rüber.

Zu Beginn könnte man Sympathien entwickeln für diese junge Frau. Sie ist intelligent, ehrgeizig und fokussiert. Sie will die Welt besser machen und damit auch Geld verdienen, was soll daran schlecht sein? Sie lässt sich nicht beirren, durch Hürden, die man ihr – speziell als Frau in einer Tech-Welt – in den Weg stellt. Sie könnte dieses Vorbild sein für junge Frauen, für das man sie jahrelang hielt.

Wenn da nicht dieses Problem wäre, dass sich ihre Idee, die sie vollmundig überall verkauft, nicht realisieren lässt. Das Gerät funktioniert nicht. Jetzt wandelt sich Elizabeth.

Pullover, Baritonstimme und ein gruseliges Lächeln

Amanda Seyfried spielt das hervorragend. Mit dem typischen Holmes-Outfit – schwarzer Rollkragenpullover in Anlehnung an Steve Jobs – übt sie vor dem Spiegel mantramässig einen Motivationssatz mit einer tieferen Stimme (dass die echte Elizabeth ihre Stimme auf Bariton trainierte, bestreitet ihre Familie).

Dazu dieses Lächeln mit dem leicht vorgeschobenen Unterkiefer – schon fast gruselig. Das ist der Moment, in dem Elizabeth zur skrupellosen Geschäftsfrau wird, die ihren Erfolg, das Geld und ihr Ansehen mit allen Mitteln verteidigt.

Wenn man «The Dropout» etwas ankreiden kann, dann am ehesten, dass hier die Frage im Vordergrund steht: Wer ist Elizabeth Holmes? Das ist legitim, aber interessanter ist die Frage: Wie konnte es Elizabeth Holmes so weit bringen?

Wie erklärt sich der Erfolg?

Wie konnte eine ganze Armada der Polit- und Wirtschaftsprominenz auf sie hereinfallen: Bill Clinton, Joe Biden, George Shultz, Henry Kissinger, Rupert Murdoch, Larry Ellison und noch einige andere. Einfach nur alte weisse Männer, bei denen der Verstand aussetzt, wenn sie eine junge blonde Frau sehen?

Das greift wohl etwas zu kurz. Denn – das zeigt die Serie – Elizabeth spielte nicht nur hinterhältig mit der Angst der eingesessenen Wirtschaftsbosse, den Anschluss an die Start-up-Ära zu verpassen. Sie investierte auch viel, man kann wohl sagen, kriminelle Energie, um ihre Geschäftspartner über den Tisch zu ziehen und Gegner zum Schweigen zu bringen. Und dabei, das kommt in der Serie fast etwas zu kurz, gefährdete sie mit ihrer Firma über Jahre die Gesundheit von Patient:innen mit falschen Diagnosen.

«You hurt people»

Die Serie endet 2018, als Theranos dicht machen muss. Elizabeth packt im Büro ein paar Sachen zusammen, als sie von ihrer ehemaligen Anwältin mit unangenehmen Fragen konfrontiert wird. Sie läuft davon. «You hurt people, you must know that, right?» ruft ihr die Anwältin nach. Man darf’s bezweifeln.

Im selben Jahr wurden Elizabeth Holmes und ihr Freund und Geschäftspartner Ramesh «Sunny» Balwani angeklagt wegen Betrugs an Patientinnen und Investoren. Die Deliktsumme beläuft sich auf über 700 Millionen Dollar.

Im Januar 2022 wurde sie schuldig gesprochen wegen Betrugs an Investoren. Vom Vorwurf des Betrugs an Patient:innen wurde sie freigesprochen. Das Strafmass, maximal 20 Jahre, soll im September verkündet werden. Bis jetzt sass Elizabeth Holmes noch keinen Tag im Gefängnis.

Wer sich noch mehr vertiefen will:
  • «Bad Blood: Secrets and Lies in a Silicon Valley Startup» (2018). Das Sachbuch von John Carreyrou, der darin seine Recherche beim Wall Street Journal schildert.
  • «The Inventor: Out for Blood in Silicon Valley» (2019) Dokumentarfilm von Alex Gibney (Trailer). Gibney hat auch den hervorragenden Dok «Enron: The Smartest Guys in the Room» gedreht. Darin geht es ebenfalls um einen massiven Wirtschaftsbetrug. Fun Fact: Elizabeths Vater arbeitete bei Enron und wurde bei der Firmenpleite arbeitslos.
  • Podcast «The Dropout» (2019) von ABC News. Der ursprünglich sechsteilige Podcast diente in grossen Teilen als Vorlage für die Mini-Series.
    Der Podcast wurde 2021 weitergeführt mit dem Prozess gegen Elizabeth Holmes.
  • Podcast «Bad Blood: The Final Chapter» (2021). John Carreyrou über den Prozess gegen Holmes und Hintergründe zu Theranos aus seinen Recherchen.
  • Zum Schluss – die richtige Elizabeth vs Seyfrieds Elizabeth

Die Umfrage ist beendet

Wie viele Sterne gibst du «The Dropout»?

Besetzung: Amanda Seyfried | Naveen Andrews | Anne Archer | William H. Macy | Stephen Fry | Sam Waterston
Showrunner: Elizabeth Meriwether
Genre: Drama | Biografie
USA, 2022