Poker Face (Staffel 1) – Ein Krimi wie aus den 80ern mit grossem Staraufgebot

Serienposter mit Schriftzug. Eine Frau mit einer Sonnenbrille und einem Zahnstocher im Mund. In der Sonnenbrille spiegelt sich eine Landstrasse und ein Auto.
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Sky Show (1 Staffel, 11 Episoden à 55 Min.)

Ob es ein Vorteil oder ein Nachteil ist, muss jede:r für sich entscheiden: Aber «Poker Face» ist eine Serie, die sich eher nicht zum Bingen eignet. Jede Episode ist nach demselben Muster gestrickt, was beim Bingen zu einer gewissen Ermüdung führen kann.

Diese Erzählweise stammt aus vergangenen Tagen, als Detektiv:innen wie «Columbo» oder Jessica Fletcher in «Murder, She Wrote» einmal pro Woche über den Bildschirm flimmerten.

Eine Frau mit langen Haaren, Baseballmütze und einer Lederjacke über die Schulter gehängt.
Natasha Lyonne wandelt in «Poker Face» auf den Spuren alter TV-Detektiv:innen. © Evans Vestal Ward /Peacock / Sky Show
Ungewöhnliches Konzept für eine Streamingserie

Was sich von Woche zu Woche änderte, waren die Leichen. Was gleich blieb, war die Methode, wie Columbo und Fletcher die Morde aufklärten. Einen Erzählbogen über die Staffeln hinweg gab es nicht. Genau so funktioniert auch «Poker Face».

Abgesehen von der ersten und der letzten Episode ist es auch egal, in welcher Reihenfolge man die Serie schaut. Jede Episode steht für sich. Auch das eher ungewöhnlich für das Streamingzeitalter.

Solche Serien leben heute wie damals von ihren Hauptfiguren. Die müssen überzeugen und die Geschichten tragen. Bei Natascha Lyonne ist das schon fast keine Frage, dass ihr das gelingt. Bei ihr besteht eher die Gefahr, dass neben ihr alle anderen Figuren verblassen, wie das in «Russian Doll» der Fall war.

Zwei junge Männer und eine Frau an einem Stand.
In jeder Episode wird Charlie Cale (Natascha Lyonne) in ein Verbrechen involviert, wie etwa Sabotage beim Autorennen. © Phillip Caruso / Peacock / Sky Show
Charlie, der menschliche Lügendetektor

Aber auch da liess sich Show-Creator Rian Johnson, der mit den Mysterythrillern «Knives Out» und «Glass Onion» Erfolge feierte, was einfallen. Jede Episode ist mit Stars besetzt, die erfolgreich gegen Lyonne anspielen können.

In der ersten Episode ist es Adrien Brody. Er spielt Sterling Frost, den Sohn eines Casino-Magnaten, der sich die besondere Eigenschaft von Charlie Cale (Natascha Lyonne) zunutze machen will. Charlie ist eine Art menschlicher Lügendetektor. Intuitiv spürt sie zuverlässig, ob jemand die Wahrheit sagt oder «bullshit» erzählt.

Sterling will mit Charlies Fähigkeiten einen grossen Gambler ausnehmen. Doch dazu kommt es nicht. Denn Charlie findet heraus, dass Sterling verantwortlich ist für den Mord an ihrer Freundin. Die Ereignisse überstürzen sich und Charlie muss vor Sterlings Vater fliehen, den sie schon früher einmal gewaltig verärgert hat.

Eine Sängerin mit rotem Lederoberteil vor einem Schlagzeug. Links und rechts zwei Männer sitzend mit Gitarren.
Chloë Sevigny spielt die Sängerin einer Heavy Metal Band, deren Schlagzeuger auf der Bühne ermordet wird. © Sara Shatz / Peacock / Sky Show
Parade der Stars

Von jetzt an ist sie auf der Flucht. An jeder ihrer Stationen wird sie in die Aufklärung eines Mordes verwickelt. Vorab sehen wir jeweils, wie der Mord geschah. Dann beginnt die Geschichte nochmal von vorn, diesmal mit Charlie Cale im Bild, die immer irgendwie involviert ist.

Schon allein die Parade von Stars, die als Täter:innen oder Opfer fungieren, lohnt die Serie anzuschauen: Joseph Gordon-Levitt, Ellen Barkin, Ron Perlman, Chloë Sevigny, Nick Nolte und viele andere geben sich in «Poker Face» die Ehre.

Besonders freute mich das Wiedersehen mit Simon Helberg. Er macht hier als FBI-Agent eine gute Figur mit viel Witz und Schalk. Ganz so, wie wir ihn als Howard Wolowitz aus «Big Bang Theory» in Erinnerung haben.

Ein Mann in Anzug und Krawatte schaut mit grossen Augen.
Nur wenige Figuren sind in mehreren Episoden zu sehen. FBI-Agent Luca Clark (Simon Helberg) ist eine davon und wird zum wichtigen Verbündeten von Charlie. © Peacock / Sky Show
Kann sie mehr als kauzigen Schabernack?

Und dann ist da natürlich Natascha Lyonne. Sie ist als exaltierte Charlie eine ähnlich skurrile Figur wie Columbo, wenn auch viel temperamentvoller. Statt im schäbigen Regenmantel stiefelt sie mit Sonnebrille und in Hotpants herum und stellt eher beiläufig die entscheidenden Fragen, die den/die Täter:in entlarvt.

Dass sie auch ein treibender Faktor für die komödiantische Seite ist, versteht sich fast schon von selbst. Man könnte sich am Schluss einzig fragen, ob sie eigentlich auch mehr kann, als auf dem Bildschirm kauzigen Schabernack zu treiben. Aber letztlich egal. «Poker Face» ist Lyonne wie auf den Leib geschrieben und grossartige Unterhaltung.

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Besetzung: Natasha Lyonne | Benjamin Bratt | Simon Helberg | Pedro Hollywood | Adrien Brody | Hong Chau | Joseph Gordon-Levitt | Chloë Sevigny | Ellen Barkin | Ron Perlman | Nick Nolte | Cherry Jones | Luis Guzmán | Jameela Jamil
Serie entwickelt von: Rian Johnson
Genre: Krimi | Komödie
USA, 2023

Beef (Staffel 1) – Wutbürger:innen und was dahinter steckt

Serienposter mit Schriftzug. Zwei Hände mit gestrecktem Mittelfinger. Der obere Teil der Mittelfinger sind zwei menschliche Figuren, die sich anschauen.
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Netflix (1 Staffel, 10 Episoden à 30 Min.)

Danny (Steven Yeun) hat einen schlechten Tag. Er wollte in einem Laden ein paar Geräte zurückgeben, hatte den Kassenzettel aber nicht dabei. Amy (Ali Wong) ist gefrustet, weil sie überarbeitet ist und endlich ihr Geschäft verkaufen möchte. Aber der Deal kommt einfach nicht zustande.

Ein Alltagsärgernis eskaliert

Dann begegnen sich die beiden. Danny rammt beinahe Amys SUV, als er ausparken will. Sie hupt ein bisschen mehr als nötig und zeigt ihm den Mittelfinger. Danny rastet aus. Es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd, bei der aber nur ein paar Blumenrabatten verwüstet werden.

Ein Mann steht in einer Schlange in einem Hobbymarkt. Er hat seinen Kopf in die Hand gestützt und schaut müde aus.
Weshalb Danny (Steven Yeun) gleich mehrere Grills zurückgeben will im Supermarkt, wird erst später erklärt. © Netflix

Nach dieser Episode des kleinen alltäglichen Wahnsinns könnten Danny und Amy wieder ihre getrennten Wege gehen. Tun sie aber nicht. Die beiden verwickeln sich in einen Kleinkrieg, der immer mehr eskaliert.

Der Frust über das eigene Leben

Das könnte zu einer zynischen Komödie über Wutbürger:innen werden, bei der man kopfschüttelnd zuschauen kann, wie sich zwei Menschen gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Doch so einfach ist «Beef» nicht gestrickt, wie sich in den Episodentiteln zeigt, in denen Kafka, Sylvia Plath und viele andere zitiert werden.

Die Serie stellt eigentlich die Frage, weshalb es so oft nicht gelingt, ein erfülltes Leben zu führen. Dass Danny und Amy so heftig aneinandergeraten, hat nur am Rand mit dem jeweils anderen zu tun. Bei beiden liegt der wahre Grund für die Aggression im Frust über das eigene Leben.

Eine Frau zielt mit einer Pistole auf ein Handy, das sie in der Hand hält.
Noch ziemlich harmlos, wenn Amy (Ali Wong) ihren Widersacher nur per Handy mit der Waffe bedroht. © Netflix
Zwei Menschen am Anschlag

Danny hat ein Ein-Mann-Baugeschäft, das eher schlecht als recht läuft. Zuhause sitzt sein jüngerer Bruder Paul (Young Mazino), der nur Videogames spielt. Dann sind da die Eltern, die nach Korea zurückgekehrt sind, weil sie ihr Motel in den USA verloren haben. Um sie alle muss sich Danny kümmern. Zudem hat er noch einen kriminellen Cousin am Hals.

Amy hat es besser, könnte man meinen. Sie hat erfolgreich ein Geschäft aufgebaut. Ihr Mann George (Joseph Lee) kümmert sich zuhause um die gemeinsame Tochter. Und es winkt viel Geld für den Verkauf des Geschäfts.

Aber auch Amy kann nicht mehr. George, der als Künstler dilettiert, hilft zwar mit der Betreuung der Tochter, ist sonst aber zu wenig zu gebrauchen. Als mentale Unterstützung schon gar nicht. Die Schwiegermutter ist eine Nervensäge. Der Verkauf des Geschäfts zieht sich endlos hin und die Käuferin ist eine anstrengende Egomanin.

Ein Mann sitzt in einer Werkstatt an einer Töpferscheibe. Im Hintergrund ein Regal mit vielen ähnlichen Skulpturen.
Im Gegensatz zu seinem Vater, der ein berühmter Designer war, ist George (Joseph Lee) künstlerisch äusserst mässig begabt. © Netflix
Grosse Fragen in dunklem Humor verpackt

Diese Hintergründe erschliessen sich über die Zeit, lassen aber kaum Mitgefühl aufkommen. Dafür treffen Danny und Amy zu oft die falschen Entscheidungen. Letztlich sind aber alle Figuren ziemlich gestört und unfähig, sich aus ihren verfahrenen Situationen herauszuholen.

Auch wenn ein:e Sympathieträger:in fehlt, packt einen die Show trotzdem, weil es ihr gelingt, Fragen von Moral, Identität und Individualität zu stellen, unterhaltsam verpackt in düsterem Humor. Sie ist eine gelungene Beschreibung der heutigen Zeit, in der es so einfach ist wie selten zuvor, den eigenen Frust an anderen auszulassen und sich selber um die Lösung von Problemen zu drücken.

Wie viele Sterne gibst du «Beef» (Staffel 1)?
1 Stimme

Besetzung: Ali Wong | Steven Yeun | Joseph Lee | Young Mazino | David Choe | Maria Bello | Ashley Park | Patti Yasutake
Serie entwickelt von: Lee Sung Jin
Genre: Komödie | Drama
USA, 2023

Shrinking (Staffel 1) – Traumabewältigung im Wohlfühl-Modus und mit Witz

Serienposter mit Schriftzug. Ein Mann mit weissem Haar steht hinter einem jüngeren Mann und zieht ihm mit den Zeigefingern die Mundwinkel hoch.
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Apple TV+ (1 Staffel, 10 Episoden à 30 Min.)

Jimmy (Jason Segel) hat den Tiefpunkt in seinem Leben erreicht. Nachts um drei sitzt er betrunken im Garten, die Musik laut aufgedreht und im Pool räkeln sich zwei Sexworkerinnen. Nicht zum ersten Mal, dass er so über die Stränge schlägt, wie die Reaktion seiner Nachbarin Liz (Christa Miller) zeigt.

Der Schritt aus der Dauerdepression

Dass es Jimmy so schlecht geht, hat seinen Grund. Seine Frau ist gestorben. Darüber kommt er auch nach bald einem Jahr nicht hinweg. Eigentlich bräuchte er dringend eine Therapie, statt selber als Psychotherapeut Patient:innen zu behandeln.

Ein Mann sitzt in einem Sessel, hält einen Kugelschreiber in der Hand. Der andere beugt sich zu ihm herunter.
Paul (Harrison Ford, r.) hat seine Liebe Mühe mit den Methoden, die sein Praxispartner Jimmy (Jason Segel) anwendet. © AppleTV

Doch dank seines Jobs macht er einen ersten Schritt heraus aus dem Hamsterrad der Dauerdepression. Er bricht mit den Konventionen seines Berufs, sagt seinen Patient:innen, was er wirklich denkt, und hat damit sogar Erfolg.

Sein Praxispartner und Mentor Paul (Harrison Ford) findet Jimmys Methoden allerdings untragbar. Auch die dritte Therapeutin im Bunde, Gaby (Jessica Williams), ist beunruhigt, welchen Weg Jimmy da einschlägt.

Aus der Erfolgsküche der «Ted Lasso»-Macher

Spätestens, als Jimmy einen Kriegsveteranen mit massiven Aggressionsstörungen bei sich zuhause aufnimmt, scheint er die Grenzen endgültig zu überschreiten. Denn da lebt noch Jimmys 17-jährige Tochter, von der er sich entfremdet hat. Auch wenn das nach grossem Drama tönt, «Shrinking» ist eine Komödie.

Eine junge Frau und ein älterer Mann mit weissem Hut sitzen auf einer Parkbank.
Paul trifft sich heimlich mit Jimmys Tochter Alice (Lukita Maxwell) und hilft ihr, mit der schwierigen Situation mit ihrem Vater umzugehen. © AppleTV

Kein Wunder, wenn man sich die Macher anschaut: Brett Goldstein ist eine der Hauptfiguren (Roy Kent) der AppleTV-Erfolgskomödie «Ted Lasso» sowie Autor und Produzent der Serie. Bill Lawrence gehört ebenfalls zum «Ted Lasso»-Team, zeichnete aber auch für weitere Komödien wie «Cougar Town» oder «Scrubs» verantwortlich.

Segel schliesslich, der ebenfalls mitproduziert hat, verleiht der Serie von Anfang an den witzigen Touch mit seinem treuen Hundeblick, den er immer wieder aufsetzt, wenn er im Schwierigkeiten gerät. Die Serie lebt aber vor allem davon, dass alle Beteiligten mit Problemen ringen, und sich gegenseitig helfen, diese zu überwinden.

Viele Wohlfühl-Momente

Harrison Ford gibt den mürrischen Mentor, der aber natürlich unter der harten Schale einen weichen Kern verbirgt. Vor allem braucht er selber Ratschläge, wie er zu seiner Tochter wieder den Draht findet. Gaby macht eine Scheidung durch und Jimmys Nachbarin leidet darunter, dass sie wegen ihrer übergriffigen Persönlichkeit keine Freund:innen findet.

Eine lächelnde Frau mit langen schwarzen Haaren in einem roten Kleid.
Gaby (Jessica Williams) ist die dritte Therapeutin in der gemeinsamen Praxis. Sie hat sich gerade von ihrem Mann getrennt. © AppleTV

Weil sich aber alle gegenseitig dann doch immer wieder aus der Patsche helfen, sich Fehler verzeihen und letztlich zueinanderhalten, verströmt «Shrinking» eine Wohlfühl-Atmosphäre, die nicht peinlich oder allzu aufdringlich wirkt. Eine gewisse Oberflächlichkeit muss man aber in Kauf nehmen. Das ist der Preis, den man bezahlt, wenn Traumabewältigung auch ein bisschen lustig sein soll.

Wie viele Sterne gibst du «Shrinking» (Staffel 1)?
0 Stimmen

Besetzung: Jason Segel | Jessica Williams | Harrison Ford | Lukita Maxwell | Luke Tennie | Christa Miller | Ted McGinley | Michael Urie
Serie entwickelt von: Brett Goldstein | Bill Lawrence | Jason Segel
Genre: Komödie | Drama
USA, 2023

En Place (Staffel 1) – Aus der Banlieue in den Élysée-Palast

Serienposter mit Schriftzug. Ein Mann steht an einem Rednerpult umrahmt von zwei französischen Flaggen. Neben ihm steht ein weiterer Mann.
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Netflix (1 Staffeln, 6 Episoden à 30 Min.)

Vielleicht hätte Stéphane (Jean-Pascal Zadi) besser den Mund gehalten, als der Präsidentschaftskandidat Éric Andréï (Benoît Poelvoorde) in seiner Banlieue Wahlkampf macht. Stéphane hätte sich einigen Ärger und Peinlichkeiten ersparen können.

Aber er hätte auch die grosse Chance verpasst, vor der ganzen Nation die Probleme anzusprechen, die ihm und einer grossen Bevölkerungsschicht des Landes am Herzen liegen. Und an uns wäre eine witzige Satire vorbeigegangen, die mit Charme Spitzen gegen den französischen Politbetrieb abschiesst.

Kandidat ohne Chancen, aber mit viel Herzblut

Denn als Stéphane dem linken Kandidaten gehörig die Meinung sagt, wird das gefilmt. Das Video geht viral und schafft es sogar in die Abendnachrichten. Das erregt die Aufmerksamkeit von William (Éric Judor). Der Politberater wittert seine Chance, mit Stéphane einigen Wirbel im Präsidentschaftswahlkampf zu verursachen und gleichzeitig seiner Karriere einen Schub zu verleihen.

Ein Mann telefoniert mit einem Smartphone. Im Hintergrund eine Menschenansammlung und ein Mann auf einem Podest.
William (Éric Judor) hat nicht die reinsten Absichten, als er Stéphane zur Kandidatur ermutigt. © Gaël Turpo / Netflix

Kurzum, Stéphane, der Jugendarbeiter aus Bobigny, wird zum Kandidaten für das Amt des französischen Präsidenten. Natürlich ist er als Schwarzer ein krasser Aussenseiter im Feld, das vom linken Andréï dominiert wird. Daneben finden sich ein Konservativer, ein rassistischer Rechtsaussen und eine ebenfalls chancenlose Ökofeministin.

Seine Familie findet es ziemlich lächerlich, dass er überhaupt ins Rennen einsteigt. Frankreich seien nicht die USA, erinnert ihn seine Mutter, und er kein Barack Obama. Aber Stéphane punktet in den Umfragen immer mehr, obwohl er in diverse Fettnäpfchen tritt.

Austeilen nach allen Seiten

Jean-Pascal Zadi, der die Serie entwickelt hat und die Hauptrolle spielt, teilt nach allen Seiten aus. Im Vordergrund steht selbstverständlich ein System, das die Probleme der mehrheitlich Schwarzen Bevölkerung aus den Banlieues ignoriert. Das geisselt «En Place» am deutlichsten.

Ein Mann ist dabei, einer Frau eine Spritze in den Bauch zu verabreichen. Sie kneift die Augen zusammen.
Stéphane (Jean-Pascal Zadi) und Marion (Fadily Camara) haben noch ein anderes Projekt: Sie wollen Eltern werden, müssen aber dafür auf medizinische Unterstützung zurückgreifen. © Gaël Turpo / Netflix

Andere Problematiken weist er aber nicht den Weissen zu, sondern seiner eigenen Bevölkerungsgruppe. Stéphanes Cousin Mo ist ein Antisemit, Stéphane selber verhält sich mehr als einmal sehr unpassend gegenüber seiner kopftuchtragenden Wahlkampfhelferin Yasmine. Und was seine Schwarze Verwandtschaft mit ivorischen Wurzeln über die senegalesische Herkunft seiner Frau sagt, ist auch nicht salonfähig.

Aber auch die linke Ökofeministin entblösst im Schlussduell gegen Stéphane ihre hässliche Seite. Ja, Schlussduell – am Ende wird entweder sie oder Stéphane der oder die neue Präsident:in von Frankreich. Die anderen Kandidaten sahen ihre korrupte Politik durch E-Mail-Leaks enthüllt und mussten abdanken.

Träumen darf man, auch wenn die Realität ganz anders aussieht

«En Place» ist eine Variation eines ewigen Themas: Der Aussenseiter mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, der an die Macht stolpert. Das handelt die Serie so ab, wie es zu erwarten ist und ohne grosse Überraschungen. Aber es ist dennoch vergnüglich und letztlich auch befriedigend, wenn ein System an den Pranger gestellt wird, das versagt und unterdrückt, und am Ende ein bisschen Hoffnung auf Besserung aufkommt.

Ein Mann mit Hut steht vor Wohnhäusern, die in den Himmel ragen.
Aus der Banlieue in den Élysée-Palast. Eine unmögliche Reise in der Realität, aber vielleicht nicht für Stéphane. © Gaël Turpo / Netflix

Träumen darf man ja, auch wenn in Frankreich weit und breit kein:e Schwarze Kandidat:in mit Chancen auf das höchste Amt in Sicht ist. Und die eine Frau, die schon daran geschnuppert hat, will ja wirklich kein vernünftiger Mensch dort sehen.

Wie viele Sterne gibst du «En Place» (Staffel 1)?
1 Stimme

Besetzung: Jean-Pascal Zadi | Eric Judor | Benoît Poelvoorde | Fadily Camara | Fary | Saabo Balse | Souad Arsane | Salimata Kamate | Jean-Claude Muaka
Serie entwickelt von: François Uzan | Jean-Pascal Zadi
Genre: Kömodie
FRA, 2022

The Consultant (Staffel 1) – Der Teufel im Chefsessel

Serienposter mit Schriftzug. Ein Mann im Anzug, die Hälfte des Porträts ist durch Streifen verfremdet. Im Hintergrund Bildschirme und ein Firmenlogo.
3 von 5 Sternen

Läuft bei: Amazon (1 Staffel, 8 Episoden à 30 Min.)

Jetzt also auch Christoph Waltz. Genau genommen ist «The Consultant» zwar schon sein zweiter Auftritt in einer Streamingserie. Aber sein erster dürfte an den meisten vorbeigegangen sein. «Most Dangerous Game» (2020) war nur beim äusserst kurzlebigen Anbieter «Quibi» zu sehen (mittlerweile gibt es eine Filmversion bei Amazon).

Christoph Waltz in seiner Standardrolle

Damals musste er das Scheinwerferlicht noch mit dem jüngsten Hemsworth-Bruder Liam teilen. In «The Consultant» ist Waltz der unbestrittene Star der Serie. Die Hauptfigur Regus Patoff ist ihm auf dem Leib geschrieben.

Aber das ist nicht nur ein Pluspunkt. Waltz als vordergründig sanften, tatsächlich aber äusserst bösartigen Charakter haben wir mittlerweile ein paar Mal gesehen. Seit seinem Auftritt als Standartenführer Hans Landa in Tarantinos «Inglourious Basterds» wird er gerne in solchen Rollen besetzt.

Ein Mann steht hinter einem Bürostuhl, die Hände darauf gefaltet.
Freundlich lächelnd verkündet Regus Patoff (Christoph Waltz) den Angestellten, dass jetzt ein kälterer Wind weht. © Amazon Studios

Waltz spielt den lächelnden Soziopathen perfekt, wie er in «The Consultant» erneut beweist. Nur reicht das allein nicht, wenn das Drumherum nicht stimmt. Und da ist einiges nicht so gelungen in dieser Workplace-Thriller-Komödie.

Der Boss ist eiskalt und ein übergriffiger Schnüffler

Regus Patoff übernimmt das Ruder in einer Firma, die mobile Games entwickelt, nachdem der Gründer von einem Schüler, der mit seiner Klasse die Firma besuchte, erschossen worden ist. Patoff taucht aus dem Nichts auf. Niemand hat je von ihm gehört, keiner weiss, woher er kommt. Aber er hat einen unterschriebenen Beratervertrag, den er den beiden Angestellten Elaine (Brittany O’Grady) und Craig (Nat Wolff) zeigt, als er eines Abends reinspaziert und das Chefbüro bezieht.

Eine Frau und ein Mann sitzen an einem Tisch vor einem Foodtruck und essen.
Elaine (Brittany O’Gray) und Craig (Nat Wolff) möchten ihren neuen Chef loswerden, fallen aber gleichzeitig auf seine manipulativen Manöver herein. © Amazon Studios

Patoff lächelt zwar, wenn er seine Anordnungen verkündet. Aber schnell zeigt sich, dass er ein eiskalter, empathieloser Chef ist. Den Angestellten im Homeoffice gibt er eine Stunde Zeit, um in der Firma zu erscheinen. Der Rollstuhlfahrerin, die ein paar Sekunden zu spät ist, schlägt er die Tür vor der Nase zu.

Patoff ist auch übergriffig. Weil ihn ein Geruch stört, lässt er die Angestellten antanzen und beschnüffelt sie, bis er den Übelriecher identifiziert hat. Er schnüffelt auch sonst gerne im Privatleben seiner Angestellten rum. Was er dabei herausfindet, nutzt er hemmungslos für seine Zwecke.

Auf den Spuren von «Severance»?

Elaine und Craig finden ihren neuen Boss zwar schrecklich. Dennoch lassen sie sich auf seine Machtspielchen ein, in der Hoffnung, ihre Karrieren voranzutreiben.

Man hat es schnell geschnallt, dass Patoff ein toxisches Arbeitsklima schafft, die niedrigsten Instinkte seiner Angestellten befeuert, damit jeder für sich und gegen alle anderen arbeitet, um so Höchstleistungen herauszupressen.

Ein Mann und eine Frau liegen im Bett. Er schläft. Sie hält ein Smartphone in der Hand und schaut auf den Bildschirm.
Übergriffig bis ins Privatleben. Patoff sät Zwietracht zwischen Craig und seiner Verlobten (Aimee Carrero). © Amazon Studios

Man könnte also eine Art Kapitalismuskritik in die Serie reinlesen, die unmenschliche Arbeitsbedingungen anprangern will, wie das die Workplace-Dystopie «Severance» hervorragend geleistet hat.

Im Hintergrund wabert ein grosses Mysterium

Aber «The Consultant» verschenkt sich diesen Ansatz, indem die Serie die Frage ins Zentrum rückt: Wer ist Regus Patoff, dessen Name offensichtlich die Abkürzung ist von «Registered with the United States Patent Office»? Da spielen ein geheimnisvoller Aktenraum im Keller eine Rolle, goldene Knochen, eine Toi-Toi-Toilette und eine junge Frau mit diversen Prothesen.

Ein Mann steht in einer Werkstatt und hält Papiere in der Hand, die er liest.
In der Werkstatt eines Goldschmieds stösst Craig auf verstörende Hinweise, welches Geheimnis Patoff verbirgt. © Amazon Studios

Man kann sich zusammenreimen, wohin das alles führen soll – irgendwas mit einem teuflischen Pakt. Aber diese Spurensuche nach der wahren Identität von Patoff wirkt allzu konstruiert. Man verliert mit der Zeit das Interesse an den vielen kleinen Hinweisen auf das grosse Mysterium, das da mitwabert.

«The Consultant» hätte sich entscheiden sollen, ob es die absurde Arbeitswelt als komisches Drama thematisieren will oder als Mysterythriller die unheimliche Figur eines faustischen Firmenchefs. Der Versuch, beides zusammen aufzutischen, ist nicht zufriedenstellend gelungen.

Wie viele Sterne gibst du «The Consultant» (Staffel 1)?
12 Stimmen

Besetzung: Christoph Waltz | Brittany O’Grady | Nat Wolff | Aimee Carrero
Serie entwickelt von: Tony Basgallop
Genre: Drama | Mystery | Komödie
USA, 2023

Funny Woman (Staffel 1) – Spassige Hommage an die Swinging Sixties

Serienposter mit Schriftzug. Eine Frau in blauem Kostüm schreitet eine Treppe hoch, die aus alten Schwarzweissfernsehgeräten besteht. © Sky Studios
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Sky Show (1 Staffel, 6 Episoden à 45 Min.)

Auf der Suche nach leichter Kost? Wohlfühlfernsehen mit ein wenig ernsthaftem Unterton? Dann bist du bei «Funny Woman» genau richtig. Eine relativ seichte, spassige Emanzipationsgeschichte mit viel 60er-Jahre-Groove, passendem Soundtrack und einer Verbeugung vor der Geschichte der britischen TV-Comedy.

«Funny Woman» basiert auf dem Roman «Funny Girl» von Nick Hornby. Ein bekannter Name als Autor von unterhaltsamen Geschichten, von denen es einige auf die Leinwand schafften. In Erinnerung dürften vor allem «High Fidelity» (2000) mit John Cusack und «About a Boy» (2002) mit Hugh Grant sein.

Der Traum vom Showbiz

Die Serie erzählt. wie Barbara Parker (Gemma Arterton) aus Blackpool den Titel der Miss Blackpool Belle gewinnt und unvermittelt realisiert, dass das überhaupt nicht das Leben ist, das sie sich wünscht.

Eine Frau blickt erwartungsvoll aus dem Fenster eines roten Busses.
Von Blackpool nach London: Barbara (Gemma Arterton) hofft auf eine Karriere als Schauspielerin in der vibrierenden Grossstadt. © Sky Studios

Sie verlässt Vater (David Threlfall) und Tante (Rosie Cavaliero), bei denen sie wohnt, kündigt ihren Job in der Zuckerwarenfabrik, lässt ihren Freund, den schönsten Metzger von Blackpool, sitzen und fährt nach London.

Barbara träumt von einer Karriere im Showbusiness. Sie lernt den Theateragenten Brian Debenham (Rupert Everett) kennen, der für sie durchaus Chancen im Business sieht. Allerdings unterscheiden sich die Vorstellungen der beiden, wofür Barbara geeignet ist.

Im Blitzlichtgewitter der Klatschpresse

Barbara sieht sich auf der Bühne als grosse Komödiantin. Brian sieht sie als Blondine mit guter Figur, die besser nicht den Mund aufmacht, weil ihr Akzent ihre Herkunft aus dem Norden und der Unterschicht verrät.

Tatsächlich aber gelingt es Barbara nach einigen Rückschlägen einen TV-Produzenten von ihrem komödiantischen Talent zu überzeugen. Sie bekommt unter ihrem Künstlernamen Sophie Straw die weibliche Hauptrolle für eine Comedy Playhouse-Pilotfolge, die zu einer Hit-Show wird.

Ein Mann und eine Frau verlassen das Büro eines Mannes, der im Hintergrund am Tisch sitzt.
Dennis (Arsher Ali) und Barbara gelingt es, Ted (Alistair Petrie), den «Head of Light Entertainment» des TV-Senders, von ihrer Show zu überzeugen. © Sky Studios

Barbara erobert die Herzen des Publikums und landet schnell im Blitzlichtgewitter der Tabloids, nicht zuletzt wegen der Liaison mit ihrem Co-Star Clive (Tom Bateman).

Die Zeit des Umbruchs

Auch wenn Barbara ein gewisses Selbstbewusstsein als Frau hat und sich beschwert, dass sie keine Witze über ihre «knockers» in der Show will, bleibt sie über weite Strecken die etwas naive Unschuld vom Lande. Nur langsam entwickelt sie eine entschlossene Seite, die nicht mehr zulässt, als Spielzeug für Männer zu dienen.

Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch und zeigt das Titelblatt einer Zeitung.
Barbaras Agent Brian (Rupert Everett) ist begeistert von den Schlagzeilen über Barbaras Liaison mit ihrem Co-Star. © Sky Studios

Das ist nur das offensichtlichste Beispiel dafür, dass «Funny Woman» zwar viele Themen aus den Swinging Sixties anspricht, die im Umbruch sind, aber nicht wirklich vertieft.

Barbaras Schwarze Freundin Diane (Clare-Hope Ashitey) etwa bekommt einen Job bei den TV-News. Ein Zuschauer fragt daraufhin, ob es denn keine netten Weissen Frauen für den Job gegeben habe.

Zeitgeist, ja – aber locker und spassig

Ganz selbstverständlich befiehlt der unsympathische TV-Boss Ted (Alistair Petrie) seinem indischstämmigen Produzenten Dennis (Arsher Ali), die Rolle eines Inders in der Comedy-Show mit einem Engländer zu besetzen, der den Akzent nachäfft. Bill und Tony, die beiden Autoren der Show, schliesslich, sind homo-, respektive bisexuell, was sie verbergen müssen, denn bis 1967 war das in England strafbar.

Zwei Frauen in einem poppigen Kleiderladen mit vorwiegend rötlichem Wanddekor.
Rassismus gegen Barbaras Freundin Diane (Clare-Hope Ashitey) ist zwar ein Thema. Aber im Vordergrund stehen die groovy Sixties mit poppigem Design bis in die Kleiderläden. © Sky Studios

Jetzt ist das nicht wirklich eine Schwäche von «Funny Woman», wenn Rassismus, Frauendiskriminierung und Schwulenfeindlichkeit nicht ausgiebig dramatisiert werden. Letztlich will die Serie eine Komödie sein, die den Zeitgeist zwar aufnimmt, aber eher locker und spassig damit umgeht.

Das gelingt wirklich ansprechend. Vor allem dank der Hauptdarstellerin Gemma Arterton, die die Serie mit immenser Energie und Spielfreude trägt. Aber auch dank den Nebenfiguren, die feine Akzente setzen und damit den einen oder anderen zusätzlichen Farbtupfer an die bunte Hommage an die 60er-Jahre beisteuern.

Gezeichnet: Schwarze tanzende Silhoutten vor grosser Silberkugel und orange-rotem Hintergrund.
Soundtrack «Funny Woman»

Golden Oldies aus den 60ern: Hier gibt’s den Soundtrack zur Serie als

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Wie viele Sterne gibst du «Funny Woman» (Staffel 1)?
0 Stimmen

Besetzung: Gemma Arterton | Tom Bateman | David Threlfall | Rosie Cavaliero | Morwenna Banks | Rupert Everett | Leo Bill | Alexa Davies | Arsher Ali | Matthew Beard | Clare-Hope Ashitey | Alistair Petrie
Genre: Komödie | Historie
GB, 2023

Cunk on Earth (Staffel 1) – So witzig war Geschichte noch selten

Serienposter mit Schriftzug. Eine Frau steht vor einer Burgruine in einem Feld mit Pflanzen vor sich.

Läuft bei: Netflix (1 Staffel, 5 Episoden à 30 Min.)

Philomena Cunk ist phänomenal. Sie setzt neue Massstäbe für das Genre der TV-Mockumentaries. Sie stapft durch Sehenswürdigkeiten der Weltgeschichte und erzählt mit bierernster Mine und beinahe richtigen Fachbegriffen wirre Geschichten über Ereignisse, die oft nicht ganz so geschahen, wie sie es schildert.

Wer ist Philomena Cunk?
Die Figur der Philomena Cunk, die von Diane Morgan gespielt wird, ist eine Erfindung des britischen TV-Produzenten Charlie Brooker, der die Serie «Black Mirror» kreiiert hat. Erstmals tauchte die intellektuell überforderte Journalistin 2013 in der BBC-Show «Charlie Brooker’s Weekly Wipe» auf. 2018 erhielt Cunk ihre eigene Serie «Cunk on Britain», ein Fünfteiler wie jetzt «Cunk on Earth», der ebenfalls von der BBC ausgestrahlt wurde.

In Florenz, das die Italiener:innen laut Cunk zu Firenze umtauften, um die Tourist:innen in die Irre zu führen, geschah eine der grossen kulturellen Revolutionen: Die Renaisauce, wie sie es nennt. Was möglicherweise auf die Erfindung des Ketchups hindeute.

Was Fitnessstudios mit Michelangelos David verbindet

Eines der grossen Denkmäler der Epoche stellt sie uns näher vor: Michelangelos David. Es sei eine Statue von erstaunliche detaillierter Genauigkeit, wie beispielsweise der makellos geformten Bauchmuskulatur. Messerscharf schliesst sie daraus, dass das beweist, was für ein «bullshit» Fitnessstudios sind. Denn damals gab es keine, aber dennoch «perfect abs».

Ein Mann in altertümlicher Kleidung arbeitet auf einer Werkbank. Eine modern gekleidete Frau streckt von rechts ihren Kopf ins Bild.
Auch nachgestellte historische Szenen fehlen nicht: Ein Besuch in der Werkstatt von Jesus, über den Cunk sagt: «Er war Jude, bevor er zum Zimmermann konvertierte.» © Netflix / BBC

Eine Frage aber bleibe unbeantwortet, erklärt sie mit grösster Ernsthaftigkeit: Weshalb besitzt David keinen Anus? Übersah Michelangelo dieses Detail oder besass das Modell tatsächlich keinen. «We will never know.»

Noch besser sind ihre Interviews, in denen sie Expert:innen regelmässig mit bizarren Fragen konfrontiert und sich oft nicht irritieren lässt, wenn sie korrigiert wird. Die Fachleute versuchen manchmal, die Fragen sinnvoll umzuformulieren, meist schweigen sie nur konsterniert.

Wie konnten die Expert:innen die Fassung bewahren?

Man fragt sich bei diesen Interviews unweigerlich, ob die Expert:innen vorgewarnt wurden. Klar ist, dass sie für Interviews angefragt wurden für eine BBC-Dokumentation. Was sie genau gefragt werden, wussten sie nicht vorab. Aber sie müssen zumindest einen Hinweis bekommen haben auf die Art der Befragung. Anders lässt es sich nicht erklären, dass alle Fachleute ihre Fassung bewahren konnten.

Eine Frau liest ein Comicbuch mit dem Titel «Great Big Crazy History of Rome». Im Hintergrund ein Bücherregal.
Cunk bereit sich gewissenhaft auf die Interviews mit den Expert:innen vor. © Netflix / BBC

Wie beispielsweise der Experte, der zur Raumfahrt befragt wird. Selbstverständlich bezeichnet Cunk den Mondflug als Humbug. Videos auf YouTube, die ihr Freund Sean ihr gezeigt habe, bewiesen das klar. Aber auch die Nacht sei nicht real, sondern künstlich erzeugt. Der Beweis? Neugeborene schlafen nicht in der Nacht, weil sie noch nicht konditioniert sind.

Die Gags und Punchlines folgen Schlag auf Schlag in den 30-minütigen Episoden. Nicht immer stellt Philomena Cunk dabei nur ihr Unwissen unter Beweis. Oft versteckt sie in ihren Fragen spitze Kommentare. Etwa wenn sie den US-amerikanischen Historiker fragt, weshalb es in den USA eigentlich das Recht gebe, andere Menschen mit Schusswaffen zu ermorden.

Eine Frau sitzt in einem Ledersessel im Oval Office und streckt die Beine auf den Schreibtisch. Im Hintergrund die US-amerikanische Flagge und ein Ölgemälde von George Washington.
Bissige Kommentare gibt es auch: Beim «Land of the Free» verweist Cunk gerne auf Indigene und Schwarze, die sich kaum angesprochen fühlen dürften. © Netflix / BBC
Kultur vs. Popkultur – nur eine macht wirklich Spass

Nicht ungern pinkelt Cunk dem Bildungsbürgertum ans Bein. Griechische Philosophie sei zwar unendlich langweilig, hält sie fest, aber die Leute hätten damals halt mangels besserer Alternativen damit beschäftigen müssen. Den Begriff Populärkultur erklärt sie als Kultur, wie beispielsweise Malerei oder Beethoven, aber im Gegensatz dazu mache Populärkultur wirklich Spass.

«Cunk on Earth» beginnt bei den Höhlenmalereien und endet im Computerzeitalter. Auch wenn man keine neuen Einblicke erhält, ist es wohl eine der amüsantesten Reisen durch die Menschheitsgeschichte bis anhin. Die Serie imitiert perfekt den Habitus von TV-Dokus und zaubert einem zweieinhalb Stunden lang ein Grinsen ins Gesicht.

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7 Stimmen

Besetzung: Diane Morgan
Serie entwickelt von: Charlie Brooker
Genre: Komödie | Doku | Historie
GB, 2022

Machos Alfa (Staffel 1) – Rückständige Geschlechterkonflikte

Serienposter mit Schriftzug. Vier Männer posieren mit unterschiedlichen Gesten - Bartkratzen, Hand über den Augen, Hand an den Backen.

Läuft bei: Netflix (1 Staffel, 10 Episoden à 30 Min.)

Es gibt Serien, die sind nicht wirklich gut, aber auch nicht wirklich mies, sondern einfach Zeitverschwendung. Wie beispielsweise «Machos Alfa».

Vom Thema her eigentlich nicht. Sexismus, Machismus würde immer noch sehr gut zum Zeitgeist passen, auch wenn die Genderdebatte heute längst nicht mehr nur Mann und Frau umfasst. Aber als spritzige Komödie wäre das dennoch perfekte, im besten Fall sogar intelligente Unterhaltung für ein breites Publikum.

Geschlechterdebatte wie vor Jahrzehnten

Aber hier beginnt es zu hapern, bei den Stichworten unterhaltsam und Komödie. Dafür bräuchte es Geschichten und Figuren, die geistreich und witzig die Beziehung zwischen Männern und Frauen in der heutigen Welt auf den Punkt bringen.

Das leistet «Machos Alfa» nicht. Was die vier spanischen Freunde und ihre Partnerinnen uns als Komödie über bröckelnde Männlichkeit und weibliches Empowerment auftischen, wirkt nicht zeitgemäss und klischiert.

Vier Männer sitzen in einem Vortragsraum.
Konsterniert lauschen die vier Freunde den Ausführungen des Coachs im Anti-Machismus-Seminar. © Netflix

«Machos Alfa» basiert auf einem Stand der Geschlechterdebatte, der vor mindestens einem Jahrzehnt, wenn nicht früher, aktuell war. Vielleicht hat diese Diskussion Spanien wirklich erst heute erreicht und ist deshalb noch nicht viel weiter. Oder ist das jetzt wiederum rassistisch?

Mann redet nur urologische Probleme

Auf jeden Fall ist einfach nicht mehr besonders witzig oder aussergewöhnlich, wenn beispielsweise ein bislang erfolgreicher Medienmanager seinen Platz räumen muss, weil er Shows produziert, in denen Männer reden und Frauen als Verzierung dienen. Dass er seinen Job an eine Frau verliert, ist da nur folgerichtig.

Schon fast aus der Steinzeit der sexuellen Befreiung scheint eine andere Konstellation zu stammen. Der Macho, der selbstverständlich seine Freundin hintergeht, aber völlig aus der Bahn geworfen wird, als sie ihm vorschlägt, ihre Beziehung zu öffnen für Abenteuer mit anderen Partner:innen.

Ein Mann und eine jüngere Frau stehen in der Wohnung vor einem Glaskasten.
Der geschiedene Santi (Gorka Otxoa) wird dauernd von seiner Tochter zu Tinder-Dates geschickt. © Netflix

Natürlich reden die vier untereinander kaum über ihre Beziehungsprobleme. Selbst wenn Mann unter sich ist, muss der Schein gegenüber den Freunden gewahrt bleiben. Einzig über urologische Probleme tauscht man sich aus, weil die das lebenswichtigste Organ des Mannes betreffen, mit dem Männer bekanntlich denken.

Auch die Frauenbilder sind klischiert

Doch nicht nur das Männerbild ist zu rückständig, als dass es wirklich zum Lachen reizen würde. Auch die Frauen kommen ziemlich klischiert daher. Wenn die sexuell frustrierte Ehefrau ausgerechnet mit ihrem Fitnesstrainer bumst, ist das nicht wirklich der originellste Dreh. Und die Ex, die nur als wütende Furie auftaucht, ist in sich schon wieder ziemlich sexistisch.

Ein Mann im Küchenschurz und eine Frau vor einem festlich gedeckten Tisch.
Romantisches Diner zur Unzeit. Esther (Raquel Guerrero) kommt gerade vom Seitensprung mit ihrem Fitnesstrainer. © Netflix

Ein bisschen Moderne versprüht wenigstens die Freundin des Medienmanagers. Sie war bisher offensichtlich reine Dekoration für Privat- und Geschäftsanlässe. Nach seinem Rauswurf startet sie eine Karriere als Influencerin, ein Berufsbild, das tatsächlich in die Jetztzeit passt.

Eine Einschränkung der Kritik an «Machos Alfa» muss ich allerdings machen. Wo die vier Machos am Schluss landen, weiss ich nicht. Nach fünf Episoden fiel der Entscheid, die Zeit in andere Serien zu investieren. Könnte also sein, dass es im zweiten Teil doch noch etwas zu Schmunzeln gibt und die Serie im Geist der Neuzeit ankommt.

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Wie viele Sterne gibst du «Machos Alfa» (Staffel 1)?
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Besetzung: Gorka Otxoa | Fele Martinez | Fernando Gil | Raúl Tejón | Paula Gallego | Raquel Guerrero | Maria Hervás | Kira Miró
Serie entwickelt von: Alberto Caballero | Laura Caballero | Daniel Deorador
Genre: Komödie
ESP, 2022

Slow Horses (Staffel 2) – Die Versager wachsen einem immer mehr ans Herz

Serienposter mit Schriftzug. Sechs Menschen gehen durch eine Strasse, hohe Hausmauern auf beiden Seiten.
4 von 5 Sternen

Läuft bei: Apple TV+ (2 Staffeln, 12 Episoden à 45 Min.)

=> «Slow Horses» Staffel 1: Der Spion, der aus der Abstellkammer kam

Ich bin mit der ersten Staffel dieser britischen Spionageserie nicht so richtig warm geworden. Aber die zweite hat sich einen Stern mehr verdient.

Das liegt vor allem daran, dass die Serie diesmal auch den Nebenfiguren mehr Platz einräumt und die Erzählstränge aufsplittet. Das macht es interessanter und stellt nicht nur den zerlumpten Chef Jackson Lamb (Gary Oldman) in den Mittelpunkt.

Ein Mann sitzt vor Waschmaschinen in einem Waschsalon.
Jackson Lamb (Gary Oldman) ist nicht im Waschsalon, um seine Kleidung zu waschen. Er nutzt den Ort nur für ein konspiratives Treffen. © Apple TV
Schlampig und scharfsinnig

Der trottet wie gewohnt im schäbigen Trenchcoat durch die Serie und trägt ein Hemd und eine Hose, die seit Wochen keine Waschmaschine mehr gesehen haben. Lamb ist aber der Einzige, der merkt, dass der Tod eines pensionierten Agenten nicht auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist.

Auf dem Mobiltelefon dieses ehemaligen Kollegen findet er den entscheidenden Hinweis: Cicada. Damit sind nicht die Insekten gemeint, sondern ein Netz von russischen Schläferagent:innen, das offenbar aktiviert wurde.

Mission in der ländlichen Idylle

Eine erste Spur führt aufs Land. Lamb schickt River Cartwright (Jack Lowden) in ein Dorf in den Cotswolds, wo er mehr über einen kleinen Privatflugplatz herausfinden soll. Von hier aus operierte offenbar einer der russischen Schläfer.

Ein Mann und eine Frau auf einem Kieselweg vor einem Haus. Er hält einen Blumenstrauss in der Hand. Sie begrüsst ihn mit offenen Armen.
River (Jack Lowden) wird bei seiner Mission auf dem Lande herzlich empfangen von der lokalen Bevölkerung. Zumindest scheint es so. © Apple TV

Louisa Guy und Min Harper erhalten eine ganz andere Aufgabe, die zuerst keinen Zusammenhang mit den russischen Schläfern zu haben scheint. Sie werden etwas überraschend vom Hauptquartier angefordert, um ein geheimes Treffen des MI5 mit einem russischen Dissidenten abzusichern.

Einsätze im Feld für die Büromannschaft

Dahinter steckt der schleimige MI5-Karrierist James Webb (Freddie Fox). Er holt die Slow Horses nur an Bord, damit er einen Sündenbock hat, falls etwas schiefläuft mit dem Treffen.

Auch der Rest des Teams im Slough House kommt zu seinen Einsätzen. Lambs Assistentin (Saskia Reeves) entpuppt sich als Schachmeisterin und kommt so zu wichtigen Informationen, während Shirley (Aimee-Ffion Edwards) und Computernerd Roddy (Christopher Chung) zuerst elektronisch einen der Schläfer aufspüren und ihn dann im Feld verfolgen.

Eine Frau sitzt an einem Schachbrett und zieht eine weisse Figur.
Catherine (Saskia Reeves) bedient sich einer ungewöhnlichen Methode, um sich Informationen zu beschaffen. © Apple TV
Die Versager wachsen ans Herz

Die Story etwas komplexer, mehr Action als zuvor und eben mehr Scheinwerferlicht auf dem Rest der Slow Horses. Dazu noch ein Mord, dem ein Mitglied von Lambs Team zum Opfer fällt.

Die zweite Staffel hat einen Gang höher geschaltet. Das macht sie unterhaltsamer. So langsam wachsen einem die Versager aus dem Slough House ans Herz und man fiebert immer mehr mit ihnen mit.

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Wie viele Sterne gibst du «Slow Horses» (Staffel 2)?
4 Stimmen

Besetzung: Gary Oldman | Jack Lowden | Kristin Scott Thomas | Saskia Reeves | Rosalind Eleazar | Christopher Chung | Dustin Demri-Burns | Aimee-Ffion Edwards | Jonathan Pryce
Genre: Thriller | Komödie
GB, 2022

Mythic Quest (Staffel 3) – Die Nerds begeistern weiter

Serienposter mit Schriftzug. Mehrere Personen in einer Art weissen Röhre, die sich zu drehen scheint.

Läuft bei: Apple TV+ (3 Staffeln, 30 Episoden à 30 Min.)

Auch mit der dritten Staffel überzeugt die Arbeitsplatzkomödie «Mythic Quest» immer noch ausgesprochen gut. Die Serie behält ihr Erfolgsrezept bei: schnippische Dialoge, witzige Plots, vor allem aber: am Schluss der Staffel bleibt fast kein Stein auf dem anderen im Beziehungsnetz der Figuren und alle sind in ihrem Leben einen Schritt weiter.

Die Firma aus den Fugen

Für Einsteiger:innen oder zur Erinnerung: «Mythic Quest» ist ein sehr erfolgreiches Game (ein sogenanntes MMORPG), das sich der kreative Kopf Ian Grimm (Rob McElhenney) ausgedacht hat und seine Chefprogrammierin Poppy Lwanag (Charlotte Nicdao) umsetzt. Dabei geraten sich die beiden regelmässig in die Haare.

Ein Mann sitzt zurückgelehnt auf einem Bürosessel. Eine Frau massiert ihm die Schläfen.
David (David Hornsby) ist in dritten Staffel der neue Chef von Mythic Quest. Ohne seine Assistentin Jo (Jessie Ennis) wäre er aber völlig verloren. © Apple TV+

In der Firma arbeiten noch weitere eigenwillige Charaktere wie der skrupellose Brad (Danny Pudi), der den Spieler:innen das Geld aus der Tasche zieht, oder der harmoniebedürftige David (David Hornsby) mit seiner knallharten Assistentin Jo (Jessie Ennis). Und die beiden Testerinnen Dana (Imani Hakim) und Rachel (Ashly Burch), die zu einem Paar geworden sind.

Diese Konstellation war am Ende der zweiten Staffel völlig aus den Fugen. Ian und Poppy hatten genug und verliessen die Firma, Brad wanderte in den Knast, Dana und Rachel stiegen ebenfalls aus. David und Jo blieben zwar bei Mythic Quest, standen aber vor einem Scherbenhaufen.

Ian und Poppy im kreativen Zweikampf

Ein Jahr später treffen wir die Truppe jetzt wieder, mit Ausnahme von C.W. Longbottom (F. Murray Abraham). Der mittelmässige Sci-Fi-Autor, der Head Writer bei MQ war, wird zu Beginn mit einer rührenden Feier verabschiedet.

Ian und Poppy haben eine neue Firma gegründet, um gemeinsam und als gleichberechtigte Partner ihre Ideen in ein neues Spiel umzumünzen. Das funktioniert mehr schlecht als recht.

Eine Frau liegt auf dem Boden mit offenen Augen. Rundherum liegt Papierabfall. Im Hintergrund unscharf eine weitere Frau.
Erledigt vom zermürbenden Streit mit Ian: Poppy (Charlotte Nicdao) erleidet eine Snack-Überdosis. © Apple TV+

Ian kann seine Egozentrik nicht ablegen und Poppy reicht ihm in Sachen Kreativität nicht das Wasser. Zwischen den Fronten findet sich Dana, die eigentlich programmieren lernen will, aber meistens zwischen den beiden schlichten muss.

Alte Gesichter in neuen Rollen

Auch bei MQ finden wir zwar alte Gesichter, aber in neuen Rollen. David ist der neue Chef, allerdings ziemlich überfordert in dieser Rolle. Seine Assistentin Jo gibt ihm zwar Ratschläge, wie er seine Leute führen soll.

Die sind aber meistens ein wenig zu radikal, weil Jo nur die Peitsche als Führungsinstrument kennt. Wie sie es allerdings in der letzten Episode schafft, Davids Autorität bei den Angestellten auf ungeahnte Höhen zu hieven, ist genial.

Brad ist auf Bewährung wieder aus dem Knast raus und übernimmt bei MQ wieder einen Job – als Hauswart. David kann das kaum glauben und vermutet hinter jeder Aktion von Brad einen Angriff auf seinen Job. Rachel schliesslich kommt unverhofft zu einem Topjob in der Firma. Sie übernimmt Brads alten Job und wird plötzlich zur Ultra-Kapitalistin.

Eine Frau und ein Mann im Gespräch. Im Hintergrund Bildschirme mit Grafikcharts.
Brad (Danny Pudi) führt Rachel (Ashly Burch) in die Geheimnisse ein, wie man Gamer:innen das Geld aus der Tasche zieht. Und Rachel lernt eine völlig neue Seite von sich kennen. © Apple TV+
Am Schluss ist wieder alles anders

Die Figuren und ihre Beziehungen werden also einmal kräftig durchgeschüttelt. Dieser Trick funktioniert. Obwohl wir dieselben Figuren vorgesetzt bekommen, die wir über die Zeit durchaus liebgewonnen haben, werden nicht die ewig gleichen Geschichten erzählt. So kommt keine Langeweile auf, im Gegenteil, der Spass bleibt auf dem Niveau der vorigen Staffeln.

Man kann davon ausgehen, dass das auch für die vierte und eventuell letzte Staffel gelten wird. Denn am Schluss sind fast alle wieder an einem anderen Ort als am Anfang. Und man kann sich schon ein wenig ausmalen, in welcher Konstellation die MQler aufeinander prallen werden.

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Wie viele Sterne gibst du «Mythic Quest»?
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Besetzung: Rob McElhenney | Charlotte Nicdao | Ashly Burch | Jessie Ennis | Imani Hakim | David Hornsby | Danny Pudi | F. Murray Abraham | Naomi Ekperigin
Serie entwickelt von: Charlie Day | Megan Ganz | Rob McElhenney
Genre: Komödie
USA, 2022

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