Charité (Staffel 4) – Die Zukunft kann mit der Vergangenheit nicht mithalten

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Serienposter mit Schriftzug: Drei Frauen und ein Mann stehen um einen Tisch über dem als eine Art Hologramm ein Herz schwebt. Bild: ARD/MDR/BDA/Benno Kraehahn
3 von 5 Sternen

Läuft bei: ARD (ausserhalb D nur über VPN, 4 Staffeln, 24 Episoden à 45 Min.)

«Charité» hatte über drei Staffeln eine Erfolgsformel. Man nehme ein weltbekanntes Krankenhaus, ein paar Koryphäen aus der Medizingeschichte, fiktive Figuren für die emotionale Zuschauerbindung und platziere das im Umfeld bedeutender historischer Ereignisse. Das hat hervorragend funktioniert.

Charité – Staffel 1 – 3
Serienposter der Staffel 1 - 3

In der ersten Staffel tauchte die Serie in die wilhelminische Zeit ein, in der sich eine Frau den Weg zum Medizinstudium erkämpft und Grössen begegnet wie Robert Koch, Entdecker des Tuberkulosebazillus, und Rudolf Virchow, Begründer der modernen Pathologie und Vorreiter für eine staatliche Gesundheitsversorgung.

Staffel 2 spielt gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein NS-Vorzeigepaar wird mit der Brutalität der eigenen Ideologie konfrontiert, als ihre Tochter mit einer Behinderung geboren wird. Die historischen Figuren sind u.a. Ferdinand Sauerbruch, Pionier der Thoraxchirurgie, und der Rassenhygieniker Max de Crinis.

Der dritte Teil spielt kurz vor dem Bau der Mauer im August 1961. Immer mehr Ärzt:innen und Pflegepersonal verlassen die Charité, die im Osten Berlins in der sowjetischen Besatzungszone liegt.

Den umgekehrten Weg geht die Ärztin Ella Wendt, die beim Gerichtsmediziner Otto Prokop ein Forschungsprojekt zur Krebsfrüherkennung durchführen will. Weitere historische Figuren sind der konservative Gynäkologe Helmut Kraatz und die sozialistische Kinderärztin Ingeborg Rapoport.

Mit der vierten Staffel wagt die Serie den Sprung in die Science-Fiction, denn sie spielt in der Zukunft, im Jahr 2049. Zwei Faktoren aus der Erfolgsformel sind weggefallen: medizinhistorische Grössen und Entdeckungen und die Einbettung in geschichtliche Ereignisse. Übrig bleiben das Krankenhaus und fiktive Figuren.

Der Zeitgeist von heute in der Welt von morgen

Das genügt nicht, um an die vorherigen Staffeln heranzureichen. Die Autorinnen haben sich zwar redlich bemüht, einen passenden Rahmen zu erfinden. Aber das ist nicht dasselbe, wie wenn aus Fiktion und Geschichte ein Zeitgemälde entsteht. Nicht zuletzt, weil viele Elemente des Plots der vierten Staffel in die Zukunft projizierter Zeitgeist von heute sind.

Futuristischer Operationssaal mit zwei Ärtz:innen, die an Pulten stehen und mit ihren Handbewegungen einen OP-Roboter in der Mitte des Saals bedienen.
Im Operationssaal von morgen steuern die Ärzt:innen den OP-Roboter mit ihren Handbewegungen an einer Konsole. © ARD/MDR/ARD Degeto/Arte/Ufa Fiction/Armanda Claro

Partnerschaften sind gleichgeschlechtlich, in Dreierbeziehungen oder geschieden, viele Eltern alleinerziehend. Führungspositionen sind von Frauen besetzt. Zwei Ausnahmen gibt es, die eine davon ist ein schleimiger Politiker. Und am begehrtesten sind Tribünenkarten für die Spiele der heimischen Fussballerinnen.

Das wird zwar alles angenehm nebenbei und ohne erhobenen Zeigefinger erzählt, lässt aber keinen Zweifel daran, was die Autorinnen unter einer positiven Zukunft verstehen. Immerhin: Lastenfahrräder scheinen sich nicht durchgesetzt zu haben.

Der Tod versteckt sich im ewigen Eis

Nicht alles hat sich aber in einem Vierteljahrhundert zum Guten gewendet. War wohl nix mit den Klimazielen 2050, denn es ist sauheiss. Deutschland muss Klimaflüchtlinge beherbergen. Die kommen aber nicht etwa aus Afrika oder Asien, sondern aus Kalifornien. Was einen leicht schadenfroh stimmen mag, denn ganz unverdient wäre das nicht.

Eine Frau in einem Schutzanzug steht am Bett eines Patienten.
Maral Safadi (Sesede Terziyan) betreut den Patienten Null, der am Paleobakterium erkrankt ist. © ARD/MDR/ARD Degeto/Arte/Ufa Fiction/Armanda Claro

Noch etwas anderes hat den Weg nach Deutschland gefunden. Ein bislang unbekanntes Bakterium, das bei einem Patienten entdeckt wird. Die Spitzenforscherin Maral Safadi (Sesede Terziyan), gerade erst an die Charité berufen als Leiterin der Mikrobiologie, macht sich daran, dem tödlichen Erreger auf die Spur zu kommen.

Auch der hat was mit dem Klimawandel zu tun. Er schlummerte nämlich im ewigen Eis von Grönland, das jetzt weggeschmolzen ist. Als weitere Opfer dieses Paleobakteriums in Europa auftauchen, steigt der Druck auf Maral eine Heilung zu finden.

Die Spitzenmedizinerin kämpft an vielen Fronten

Was ihr natürlich gelingen wird trotz widriger Umstände. Die sind zahlreich an ihrer Figur angedockt durch das Drehbuch. Maral war als wissenschaftliche Beraterin an einer Gesundheitsreform beteiligt, die zu grossen Protesten vor der Charité führt.

Auch ihre Mutter Seda (Adriana Altraras), Chirurgin an der Charité, ist eine Gegnerin der Reform. Und Marals Vater Nils (Jan-Gregor Kremp) wird eine Behandlung verweigert, weil er Kriterien nicht erfüllt, die die neue Gesundheitspolitik verlangt.

Eine Chirugin mit Mantel und Schutzmaske steht neben einem OP-Tisch, auf dem ein Patient liegt. Im Vordergrund eine Pflegerin von hinten.
Marals Mutter Seda Safadi (Adriana Altaras) betreibt eine Schattenklinik in einem stillgelegten Trakt der Charité. Sie operiert hier Patient:innen, die wegen der Gesundheitsreform sonst keine Behandlung bekommen. © ARD/MDR/Armanda Claro

Kommt noch Marals Sohn Michel (Simon Stache) dazu, der zur europäischen Eingreiftruppe will. Dafür will er sich einen Chip einpflanzen lassen, der seine soldatischen Fähigkeiten optimiert. Für Julia (Angelina Häntsch), Marals Frau, unvorstellbar, dass sich ihr Sohn zur Kampfmaschine umbauen lässt.

Der Ansicht ist zwar auch Maral. Weil sie sich aber aus Julias Sicht zu sehr mit dem Paleobakterium beschäftigt und sich zu wenig um ihre Familie kümmert, kommt es zur Ehekrise.

Die Charité – der ewige Leuchtturm

Es gibt noch einige Nebenfiguren, die Maral etwas Last abnehmen, damit sie nicht die ganze Serie alleine tragen muss. Daraus entsteht insgesamt eine recht spannende Geschichte darüber, wie Medizin und Gesundheitspolitik in Zukunft aussehen könnten.

Ein Mann und eine Frau stehen an einem Getränkeausschank im Garten des Krankenhauses.

Ferhat Williamson (Timur Isik) leitet ein Forschungsprojekt mit Locked-In-Patient:innen und Marlene Hirt (Gina Haller) ist eine der Helfer:innen in der Schattenklinik. © ARD/MDR/Armanda Claro

Und mittendrin die Charité, die uns als Leuchtturm durch all diese Herausforderungen leiten wird, wie die Schlussszene suggeriert, die aus einem Promovideo für die Klinik stammen könnte. Aber ist auch ok, wenn man mal mit einem optimistischen Gefühl in die Zukunft entlassen wird.

Offen bleibt nur die Zukunft der Serie. Fällt der ARD nochmal ein Twist ein für eine weitere Staffel? Für mich muss das nicht sein. Nach drei hervorragenden Staffeln und einer mittelmässigen vierten kann man jetzt einen Schlussstrich ziehen.

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Besetzung: Sesede Terziyan | Angelina Häntsch | Timur Isik | Adriana Altaras | Moritz Führmann | Gina Haller | Jenny Schily | Jan-Gregor Kremp | Hyun Wanner
Autorinnen: Tanja Bubbel | Rebecca Martin
Genre: Drama | Science-Fiction
D, 2024

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