

Läuft bei: Apple TV+ (1 Staffel, 8 Episoden à 50 Min.)
Eines kann man «Extrapolations» nicht vorwerfen: dass die Serie keine ehrenwerte Absicht hegt. Es ist verdienstvoll, wenn die Show mehr als ein gutes Dutzend grosse Namen vor der Kamera versammelt, um aufzuzeigen, wie eine Welt aussehen könnte, sollten wir die Erderwärmung nicht in den Griff bekommen.
Aber damit ist schon das meiste gesagt, was man an der Serie loben kann. Zu inkonsistent sind die acht lose zusammenhängenden Episoden, um dem Anliegen Dringlichkeit zu verleihen. Zu sehr verliert sich die Serie in netten Geschichten, bei denen die Welt am Abgrund nur noch Kulisse ist für menschliche Dramen.
Waldbrände und Wasserknappheit
Dabei ist der Auftakt durchaus vielversprechend. 2037 sind wir bei der mittlerweile 42. Klimakonferenz angekommen, ohne dass die Welt erkennbare Fortschritte gemacht hätte im Kampf gegen den Klimawandel.

Im Gegenteil: Überall wüten gewaltige Waldbrände, die den Himmel bedrohlich rot färben. Wasser ist in vielen Ländern knapp. Und Tausende von Tierarten stehen kurz davor, endgültig zu verschwinden.
Vor diesem Hintergrund wird an der COP42 in Tel Aviv immer noch verhandelt, wie stark die Erderwärmung steigen darf. Aktivist:innen skandieren wütende Parolen auf der Strasse. Konferenzteilnehmer:innen taktieren am Verhandlungstisch. Aber sie alle haben eigentlich nichts zu sagen.
Big Business verdient an den Katastrophen
Das Schicksal der Welt liegt in den Händen von Big Business, verkörpert durch den CEO Nick Bolton (Kit Harington), dessen Konzern Alpha (ein Konglomerat von Alphabet, Amazon und Apple) das Monopol in so ziemlich allen Technologien zu besitzen scheint. Bolton könnte die Wasserknappheit beseitigen, in dem er die Patente für seine Entsalzungsanlagen freigibt. Die Frage ist, was will er als Gegenleistung? Die Antwort: 2,3 Grad.

Dieser Richtwert für die Erderwärmung wird zwar absehbar die Welt unbewohnbar machen, aber Bolton bis dahin Milliardengewinne bringen. Oder wie es ein anderer gieriger Geldscheffler (Matthew Rhys) sagt: «Nicht mehr mein Problem, dann liege ich in meinem goldenen Sarg.»
Auf der anderen Seite, der Seite der Guten, steht Becca (Siena Miller), eine Wissenschaftlerin, die versucht, das Genmaterial bedrohter Tierarten zu sammeln. Sie ist schwanger, muss vor den Waldbränden fliehen. Sie bringt einen Sohn zur Welt, der unter einem genetischen Defekt leiden wird, den der Klimawandel verursacht hat.
Kaum kämpferisch, dafür rührselig und leicht abstrus
In Tel Aviv lebt auch Marshall (Daveed Diggs), ein angehender Rabbi, dessen Vater aber gar nicht begeistert ist, dass sein Sohn in Israel praktizieren will. Aber Marshall besteht darauf, dass er hier gebraucht werde, weil die Menschen unter dem Klimawandel leiden. Nicht in Florida, wo sein Vater ihm eine Stelle verschafft hat.

Gut und Böse wäre also etabliert. Aber es entwickelt sich kein Kampf um die Rettung der Welt. Das scheint von Beginn an aussichtslos.
Stattdessen verliert sich die Serie in einer nächsten Episode mit Becca als Hauptfigur in einer rührseligen Geschichte über den letzten Buckelwal. Dass die Wissenschaft inzwischen den Walgesang entschlüsselt hat, und sich Becca mit dem letzten Buckelwal pseudotiefsinnig unterhalten kann, geht ja noch. Dass der Wal mit der Stimme von Meryl Streep spricht, die auch als Grossmutter Beccas Sohn Märchen erzählt, ist ziemlich unerträglich.
Klimakrise als Kulisse für Liebeskummer und Ehekrach
Es ist nicht die einzige Episode, die wenig überzeugt. Beccas Sohn taucht später nochmal auf. Seine genetische Krankheit führt dazu, dass er seine Erinnerung verliert. Er kämpft dagegen an, in dem er seine Erinnerungen in einen kostenpflichtigen Cloudspeicher lädt, aber zu wenig Geld dafür hat. Diese Geschichte wäre eine gute «Black Mirror»-Episode. Mit Klimawandel hat sie nur noch am Rande zu tun.
Wie auch die Folgeepisode mit Marion Cotillard und Forest Whitaker, die an einem Silvesterabend spielt. Er verkündet seiner Frau, dass er sein Bewusstsein digitalisieren will und sie somit verlassen wird. Was folgt, sind Szenen einer Ehe, die halt zufällig in einer Zeit spielen, in der man Sauerstoff im Rucksack mitträgt, wenn man nach draussen geht.

Andere Episoden sind stärker. Ein Kleinkrimineller, der unter widrigsten klimatischen Bedingungen Samen transportiert, die aus dem «Svalbard Global Seed Vault» gestohlen wurden. Eine Wissenschaftlerin (Indira Varma), die ein gefährliches Klimaengineering-Projekt durchführen will, was ihr Ex-Mann (Edward Norton) zu verhindern sucht.
Kein nennenswerter Beitrag zur Klimadiskussion
Der Gesamteindruck von «Extrapolations» bleibt aber unbefriedigend. Am Ende ist es Technologie, die die Welt – wahrscheinlich – rettet. Die Menschen sind offensichtlich nicht fähig, dem Klimawandel mit Verhaltensänderungen Einhalt zu gebieten.
Darauf weist auch der böse Bolton hin, dem am Ende immerhin der Prozess gemacht wird. Er verteidigt sich damit, dass er den Menschen nur gegeben habe, wonach sie verlangt hätten. Dass sie sich dabei nie um den Preis ihrer Konsumgier gekümmert hätten, sei nicht sein Problem.

Es bleibt etwas hängen von diesen dystopischen Bildern, wie die Welt in 10, 30 oder 50 Jahren aussehen könnte, wenn wir so weitermachen wie heute. Aber nicht so viel, dass man das Gefühl hat, «Extrapolations» würde einen nennenswerten Beitrag zur Thematik leisten. Vielmehr nutzt die Serie die Klimadiskussion als Kulisse für ein paar gelungene und ein paar misslungene Geschichten über Menschen, die in der Zukunft leben.
Besetzung: Kit Harington | Sienna Miller | Diane Lane | Edward Norton | Marion Cotillard | Meryl Streep | David Schwimmer | Keri Russell | Indira Varma | Tobey Maguire | Judd Hirsch | Forest Whitaker | Matthew Rhys | Murray Bartlett | Heather Graham | Cherry Jones | Ato Essandoh
Serie entwickelt von: Scott Z. Burns
Genre: Drama | Science-Fiction
USA, 2023
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