Pistol (Mini-Serie) – Als die Wut zu Musik wurde

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Serienposter. Vier junge Männer, gezeichnet. Zwei tragen eine Sonnebrille. Einer macht das Victoryzeichen mit seiner Hand. Schriftzüge der Serie.

Läuft bei: Disney+ (Mini-Serie, 6 Episoden à 50 Min.)

England Mitte der 1970er-Jahre: stockkonservativ und verkalkt. So präsentiert Regisseur Danny Boyle das Land in Originalaufnahmen gleich zu Beginn. Und so erleben es die vier, respektive fünf Jungs, die als «Sex Pistols» die Anarchie im United Kingdom ausrufen werden.

«I hate Pink Floyd»? Sicher nicht

Der Teenager aus der Schweiz, der um die Zeit die Insel zum ersten Mal besuchte, erlebte London allerdings mehr als die grosse Erleuchtung. Da gab es Rockopern im Theater, riesige Läden, die nur Platten verkauften, und junge Leute, die alle viel cooler angezogen waren als er und seine Altergenoss:innen zu Hause.

Über die Jahre lernte ich das Land zwar besser kennen und kann die Frustration der Punks nachvollziehen. Aber mit ihrer Musik konnte ich nie viel anfangen. Was ist schon von einem Sänger zu halten, der ein T-Shirt trägt mit der Aufschrift «I Hate Pink Floyd» (was zwar angeblich gar nicht stimmt)?

Weisses T-Shirt mit Aufschrift "I HATE PINK FLOYD" und den Köpfen der vier Bandmitglieder von Pink Floyd.
Das «I Hate Pink Floyd»-T-Shirt von Johnny Rotten erhielt sogar einen Platz in der Ausstellung «Pink Floyd: Their Mortal Remains». Ich hab’s immerhin fotografiert 😜. CC BY-NC-SA 4.0 Patrick Bürgler
An der Seele des Punks vorbei erzählt?

Vielleicht sind das aber die besseren Voraussetzungen, um «Pistol» zu schauen, als wenn man ein Punk- oder «Sex Pistol»-Fan ist. Mir fehlt das Detailwissen über die Band und die Bewegung.

In einigen kritischen Besprechungen wird «Pistol» das vorgehalten. Die Serie gehe nicht in die Tiefe, erzähle nicht die wahre Geschichte, treffe nicht die Seele der Pistols und des Punks.

Als Kronzeuge dieser Anklage tritt John Lydon (aka Johnny Rotten) auf. Er klagte vor Gericht gegen die «Pistol»-Produktion, weil er mit der Darstellung seiner Person unzufrieden war. Er verlor.

Rohe Kraft und Wut

Lydons Missmut hat viel damit zu tun, dass die Serie auf den Memoiren von Steve Jones basieren. «Lonely Boy: Tales from a Sex Pistol» erzählt die Geschichte vor allem aus der Perspektive des Gründers und Gitarristen der Band. Da dreht sich eben nicht alles um den charismatischen, aber auch egomanischen Frontmann. Johnny Rotten taucht erst in der zweiten Episode auf.

Aus meiner Sicht ein starker Auftritt (im ominösen «Pink Floyd»-T-Shirt). Rotten (Anson Boon) macht nach anfänglichem Zögern deutlich, welch rohe Kraft und Wut er auf die Bühne bringt. Steve Jones (Toby Wallace), der gerne selber Sänger der Band gewesen wäre, muss die Segel streichen.

Vier junge Männer mit zwei Koffern für Musikinstrumente und einem Verstärker.
Die «Sex Pistols» vor einem ihrer ersten Auftritte – als Vorband. © FX / Disney+
Spuckduell mit dem Publikum

Die Auftritte der «Sex Pistols», die danach zu sehen sind, strotzen vor Wildheit und Verstärkern, die zu explodieren drohen. Ob sich die Band ein widerliches Spuckduell mit dem Publikum liefert, in einem Gefängnis die Insassen von den Stühlen reisst oder auf einer Nordengland-Tour die gut frisierten Teenies aus dem Ballsaal rausdröhnt – diese Momente sind stark.

Neben den Pistols bereichern noch weitere eindrucksvolle Charaktere die Serie, die die den rebellischen Zeitgeist verkörpern und vorantreiben. Malcolm McLaren (Thomas Brodie-Sangster), der Manager der Pistols, der (meist) geschickt das Image der Band steuert.

Glorios: Jordan, Queen of Punk

Etwas zu wenig zur Geltung kommt Vivienne Westwood (Talula Riley). Sie war McLarens Partnerin, aber vor allem die Designerin, die dem Punk ein Aussehen gab.

Glorios auch der Auftritt von Jordan (Maisie Williams), die Queen of Punk. Sie fährt zur Arbeit in Westwoods Boutique. Sie trägt einen Rock und einen durchsichtigen Mantel, darunter nichts. Entsetzte und lustvolle Blicke begleiten sie.

Eine Frau mit hochgestylten weissen Haaren und stark schwarz geschminkter Augenpartie.
Jordan (Maisie Williams) wird zur Stil-Ikone des Punks. © FX / Disney+

Im Zug bietet ihr der Schaffner einen Platz in der weniger vollen ersten Klasse an – inklusive gratis Tee und Toast. Das nimmt Jordan dankend an: «Provocateuring does make one quite hungry.»

Chrissie Hynde, die wohl einzige wahre Musikerin in der Runde

Dann ist da noch Chrissie Hynde (Sydney Chandler). Dass sich die Wege der späteren «Pretenders»-Frontfrau tatsächlich mit den Pistols gekreuzt haben, wusste ich nicht. Beweist aber nur wieder meine mangelnden Kenntnisse der Musikgeschichte.

Ihre Beziehung mit Steve Jones erhält viel Raum. Das übertüncht fast etwas zu sehr den grossen Frust, mit dem Hynde zu kämpfen hat. Obwohl sie im Umfeld von McLaren wohl die beste Musikerin ist, bekommt sie von ihm keine Chance.

Zwei Frauen. Eine dunkelhaarig mit grünem Pullover. Die andere blond in einem roten Kleid.
Chrissie Hynde (Sydney Chandler) lernt die «Sex Pistols» über ihren Job bei Vivienne Westwood (Talulah Riley) kennen. © FX / Disney+
Kraftvoll, laut und intensiv

Ihr vermisst Sid Vicious? Er taucht ebenso auf, wie Nancy. Weil die tragische Geschichte dieses Paars aber schon anderweitig oft erzählt wurde (bspw. in «Sid and Nancy», 1986) fokussiert die Serie weniger, aber nicht weniger berührend darauf.

«Pistol» lässt – nochmal: aus der Sicht des Musikinteressierten, aber nicht -Kenners – die Geburtsstunde des Punks und der «Sex Pistols» in einem kraftvollen, lauten und intensiven Zeitgemälde aufleben.

Wie das Fans und Kenner:innen sehen? Lasst es mich wissen.

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Besetzung: Toby Wallace | Anson Boon | Sydney Chandler | Jacob Slater | Talulah Riley | Maisie Williams | Thomas Brodie-Sangster | Louis Partridge
Serie entwickelt von: Craig Pearce
Genre: Biografie | Historie | Musik
GB/USA, 2022

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