Läuft bei: Netflix (Mini-Serie, 8 Episoden à 55 Min.)
«Ripley» ist eigentlich eine Zumutung. Über siebeneinhalb Stunden erstreckt sich die Geschichte über einen Hochstapler und Mörder. Dabei liesse sich das gut in zwei Stunden erzählen, wie der Film «The Talented Mr. Ripley» (1999) beweist. Dazu ist die Serie erst noch in hartem Schwarzweiss gedreht, was die Netzhaut strapaziert.
Aber genau, weil sich «Ripley» so viel Zeit nimmt für seine Geschichte und sie in einer fantastischen Optik erzählt, ist die Serie eine Wucht. Man muss zwar die Aufmerksamkeitsspanne neu kalibrieren, wird dafür aber reichlich belohnt.
Der kleine Gauner träumt vom grossen Glück
Belohnt etwa durch Andrew Scott, der diesen Ripley mit maximaler Gefühlslosigkeit und minimaler Mimik spielt. Tom Ripley ist ein kleiner Gauner, als ihn Herbert Greenleaf (Kenneth Lonergan) bittet, seinen Sohn Dickie (Johnny Flynn) in Italien aufzusuchen. Er soll Dickie zur Rückkehr in die USA überreden.
Tom befreundet sich mit Dickie und ist von dessen Lebensstil fasziniert. Ein schönes Haus am Meer, ein gut gefülltes Bankkonto, keine Verpflichtungen. Eine Zeit lang kann er schmarotzend daran teilhaben. Doch Dickies Freundin Marge (Dakota Fanning), die Tom von Anfang an misstraut, überzeugt Dickie davon, Tom wegzuschicken.
Nicht Tom verschwindet aber aus ihrem Leben, sondern ihr Freund. Tom bringt ihn bei einem Bootsausflug um, reist nach Rom und gibt sich künftig als Dickie aus.
Die unerträgliche Langsamkeit des Mordens
Dieser Mord ist ein Beispiel dafür, wie Autor und Regisseur Steven Zaillian, der für seine Drehbücher schon mehrere Oscar-Nominationen erhalten hat (u.a. «Schindler’s List», «The Irishman»), seinen Ripley inszeniert. Üblicherweise würden 90 Sekunden reichen, um zu zeigen, wie Tom Dickie tötet.
Zaillian erzählt den Mord über gut eine Viertelstunde ohne jeglichen Dialog. Denn es ist mühsam, jemanden zu erschlagen und die Leiche loszuwerden. Die Anstrengungen, die Tom unternehmen muss, dafür auch mehrere Anläufe braucht, lässt einen Zaillian beim Zuschauen intensiv miterleben.
Ähnlich wird es sich bei einem zweiten Mord abspielen, der noch folgt. Es sind aber nicht nur diese beiden Sequenzen, die so intensiv erlebbar sind. Viele weitere Szenen sind mit extremer Liebe fürs Detail umgesetzt.
Etwa wenn der italienische Inspektor Tom befragt, den er für Dickie hält, und die Kamera immer wieder der Aschenbecher in den Fokus rückt, der die Tatwaffe ist in diesem zweiten Mordfall.
Der Zauber des Film noir
Noch mehr in Erinnerung bleiben aber die gewaltigen Aufnahmen, die Kameramann Robert Elswit (Oscarpreisträger für «There Will Be Blood») in bester Film-noir-Tradition von Figuren, Landschaften, Architektur und Kunstwerken auf den Bildschirm zaubert. Das trägt und prägt die ganze Atmosphäre der Serie.
«Ripley» ist als Mini-Serie angekündigt und schliesst die Geschichte ab, wie sie Patricia Highsmith in ihrem ersten Roman über Ripley erzählt hat. Aber sie schrieb noch vier weitere Romane. Ob Netflix nach der grossen positiven Resonanz auf die Serie noch weitermacht?
Einerseits würde man sich das wünschen. Denn es ist endlich wieder ein grosser Wurf des Streaminganbieters Netflix, der seit längerem mehr durch Masse als Klasse auffällt. Andererseits ist die Magie, die «Ripley» ausstrahlt, vielleicht einmalig und würde verpuffen, wenn man sie zu wiederholen versuchte.
Besetzung: Andrew Scott | Dakota Fanning | Johnny Flynn | Margherita Buy | Vittorio Viviani | Maurizio Lombardi | Eliot Sumner | Kenneth Lonergan
Serie entwickelt von: Steven Zaillian
Genre: Krimi | Thriller | Drama
USA, 2024
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