

Läuft bei: Netflix (Mini-Serie, 7 Episoden à 45 Min.)
Eigentlich ist diese neue Netflix-Show wenig originell und inhaltlich oft haarsträubend. Aber sie ist gut gemacht, bietet spannende Unterhaltung, einiges an Action und ist vor allem gut besetzt.
Der Plot ist altbekannt. Protagonist:in lebt ein stinknormales Leben, hat aber ein dunkles Geheimnis in der Vergangenheit, das ihn/sie jetzt einholt und alles auf den Kopf stellt.
Ein nettes Leben in schmucker Umgebung
Bei Erin Carter (Evin Ahmad) werden wir drei Episoden lang im Ungewissen gelassen, was dieses Geheimnis ist. Aber wir wissen von Beginn an, dass etwas nicht stimmt. Denn in der ersten Szene flüchtet sie mit ihrer Tochter Harper (Indica Watson) heimlich aus England.

Fünf Jahre später leben die beiden in Barcelona in einem schmucken Häuschen in bester Nachbarschaft. Erin arbeitet als Aushilfslehrerin und hat geheiratet. Ihr Mann Jordi (Sean Teale) ist ein sanftmütiger Krankenpfleger und Harper hat sich zum präpubertären Teenie mit ersten Anwandlungen von Starrsinn entwickelt.
Diese heile Welt stürzt ein, als der Supermarkt überfallen wird, in dem Erin und Harper gerade die Toilette aufsuchen. Erin überwältigt einen der Räuber und erschiesst ihn. Seine letzten Worte sind: «Du bist das?» Der zweite maskierte Täter flieht.
Zuerst verschwinden Beweise, dann eine Leiche
Dass Erin bei dem Überfall Nahkampffähigkeiten unter Beweis gestellt hat, die man einer Lehrerin nicht unbedingt zutraut, fällt auch ihrem Nachbarn auf. Emilio (Pep Ambròs) ist ein guter Freund und Polizist. Er beginnt zu ahnen, dass da etwas nicht stimmt mit Erin.

Vor allem aber weiss er, dass seine Kolleg:innen unangenehme Fragen stellen werden, wenn sie die Bilder von Erins Zweikampf im Supermarkt zu sehen bekämen. Deshalb lässt er die Aufzeichnungen der Überwachungskamera verschwinden.
Kurz darauf hilft er Erin noch mehr verschwinden zu lassen. Eine Leiche. Der zweite Räuber aus dem Supermarkt entpuppt sich als Frau, die Erin nachstellt. In einem weiteren Zweikampf, diesmal in einem Klassenzimmer ihrer Schule, erledigt Erin auch sie.
Wilde Schlägereien und turbulente Fluchten
Klar, dass die beiden Toten mit Erins Vergangenheit zu tun haben. Und logisch, dass es für Erin nicht vorbei ist, auch wenn sie die beiden beseitigt hat. Jetzt wird es erst richtig gefährlich. Zuerst, weil Emilio sich Erins neu entdeckte Fähigkeiten zunutze machen will, um berufliche Probleme zu lösen.

Er schickt sie auf gefährliche Missionen, die in wilden Schlägereien und turbulenten Fluchten enden. Zudem hat Erins heldenhafter Kampf im Supermarkt Schlagzeilen gemacht, die ihren Weg nach England finden. Das bringt die Weggefährt:innen von früher auf ihre Spur, die noch eine Rechnung mit ihr offen haben.
Wenn das Drehbuch Amok läuft
Wahrscheinlichkeitskrämer:innen werden eine harte Zeit erleben, wenn Erin Carter fürs eigene Überleben oder das ihrer Familie kämpft. Da erleidet sie einen Bauchdurchschuss, legt anschliessend aber ohne Probleme mehrere Gegner im Nahkampf flach.

Auch die Plottwists strapazieren die Glaubwürdigkeit maximal. Dass sie ausgerechnet in einem spanischen Supermarkt zwei ihrer ehemaligen Kumpane aus England wiederbegegnet – kann man noch akzeptieren. Engländer:innen schätzen bekanntlich das Klima am Mittelmeer und die Cerveza an der Costa del Sol.
Wenn sich aber herausstellt, dass jemand aus dem Schulumfeld massgeblich mit Erins Londoner Vergangenheit verknüpft ist, ohne dass die beiden voneinander wussten, dann ist das doch ein bisschen zu viel.
Die Britin ist eine Schwedin und perfekt für die Rolle
Dass man dem Drehbuch solche haarsträubende Twists verzeiht, liegt nicht zuletzt an Evin Ahmad. Ihr kauft man ab, dass sie sich nach einem stinknormalen Leben sehnt als Mutter, aber innert Sekunden in den Modus der gnadenlosen Tötungsmaschine umschalten kann.
So wie man der Schwedin auch ihr Rolle als Britin abkauft. Wem Evin Ahmad bekannt vorkommt, der hat sie wahrscheinlich in einer früheren Netflix-Produktion gesehen.

Sie spielte sowohl im dänischen Postapokalypsethriller «The Rain», als auch als Hauptdarstellerin in der schwedischen Serie «Snabba Cash». Ihr spanischer Filmehemann, das noch als Randbemerkung, ist dagegen ein waschechter Brite.
Hintertürchen für eine Folgestaffel
«Who Is Erin Carter?» wird von Netflix als Mini-Serie gelabelt. Aber die Macher:innen haben sich in einer letzten Szene ein Hintertürchen für eine zweite Staffel offen gelassen, falls die Geschichte beim Publikum gut ankommt. Und das scheint der Fall zu sein. Vielleicht kommt also bald «Who Will Erin Carter Become?»
Evin Ahmad würde ich das gönnen. Den Autor:innen aber gleichzeitig auch ans Herz legen, eine Geschichte mit etwas mehr Raffinesse zu entwickeln.
Besetzung: Evin Ahmad | Sean Teale | Denise Gough | Indica Watson | Charlotte Vega | Susannah Fielding | Douglas Henshall | Pep Ambròs
Serie entwickelt von: Jack Lothian
Genre: Thriller | Action
GB, 2023
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