Läuft bei: ARD (Mini-Serie, 4 Episoden à 60 Min., ausserhalb D nur über VPN)
Von Alfred Herrhausen wusste ich bis jetzt, dass er 1989 bei einem Anschlag der RAF getötet wurde und dass er Banker war. Die ARD-Mini-Serie «Herrhausen – Der Herr des Geldes» füllt meine Wissenslücke mit einem detaillierten Porträt über den ambitionierten und mächtigen Manager.
Aber gepackt hat es mich nicht. Ungewöhnlich, denn Serien, die grosse Ereignisse der deutschen Geschichte beleuchten, faszinieren mich normalerweise.
Ehrgeiziger und visionärer Banker
«Herrhausen» spielt in den Jahren vor dem Mauerfall, in denen der Chef der Deutschen Bank eine bedeutende Rolle gespielt hat. Die Serie behandelt auch die dritte und letzte Generation der Roten Armee Fraktion, der zehn Morde zur Last gelegt werden, die zwischen 1985 und 1993 begangen wurden.
Von Anfang an zeigt sich Herrhausen (Oliver Masucci) als ehrgeizig und visionär. 1987 greift er in der Deutschen Bank nach der Macht. Statt die Tradition einer Co-Leitung der Bank weiterzuführen, will er alleiniger Vorstandssprecher werden – und schafft es.
Visionär, ja sogar revolutionär, war seine Idee eines Schuldenerlasses für die Länder der Dritten Welt. Damit stiess er nicht nur seine Vorstandskollegen vor den Kopf, sondern vor allem die US-amerikanischen Banken. Die hatten viel Geld zu verlieren, wenn sich Herrhausens Idee durchsetzen würde
Im Visier der CIA
Die USA sahen ihre Wirtschaftsinteressen bedroht. Das war ein Grund, weshalb Herrhausen ins Visier der CIA geriet. Der andere: Er setzte sich für Kredite an die Ostblockstaaten ein. Für die DDR, für Ungarn, aber vor allem für die Sowjetunion, die unter Gorbatschow eine Reformpolitik eingeleitet hatte.
Die Serie gewährt Einblicke hinter die Kulissen, als sich das Machtgefüge in Europa veränderte, das mit dem Fall der Mauer endete. Man lernt Herrhausen kennen als «eitel, arrogant, aber lösungsorientiert und intellektuell brillant», wie ihn ein ehemaliger Mitarbeiter in der begleitenden ARD-Doku (sollte man sich unbedingt anschauen) beschreibt.
Fehlt noch das Stichwort «Privatleben». Herrhausen hat eine sehr enge Beziehung zu seiner zweiten Frau Traudl (Julia Koschitz). Auch wenn er meist das Geschäft voranstellt, ist ihm die Zeit zu Hause mit ihr wichtig.
Die Hintergründe des Attentats sind reine Spekulation
Am schwächsten ist die Serie, wenn sie die RAF thematisiert. Das liegt wohl daran, dass über die wahren Hintergründe des Anschlags auf Herrhausen kaum etwas bekannt ist.
Was die Serie über die Vorbereitungen des Attentats im Libanon zeigt, ist reine Spekulation, ebenso wie die angedeutete Unterstützung der Attentäter:innen durch Stasi und CIA.
«Herrhausen» bemüht sich redlich, ein differenziertes Bild des Protagonisten und der Ereignisse zu zeichnen. Das gelingt nicht schlecht. Wohl deshalb fühlt man nur begrenzt Empathie mit ihm.
Bei allem Respekt vor seinem Intellekt und seinen Ideen bleibt er in erster Linie ein Machtmensch, der von sich selbst überzeugt ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass Helmut Kohl ihm den Spitznamen «Don Alfredo» gab, auch wenn das sicher humorvoll gemeint war.
Besetzung: Oliver Masucci | Julia Koschitz | Sascha Nathan | David Schütter | Ursula Strauss | August Zirner | Lisa Vicari | Anton Spieker | Yousef Sweid | Shenja Lacher | Peter Jordan | Dov Glickman
Genre: Historie | Drama
D, 2024
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