Neumatt (Staffel 1&2) – Kein Klischee zu abgedroschen für dieses Bauernhofdrama

Das gezeichnete Porträt eines jungen Mannes vor dem Hintergrund eines Kartenausschnitts.

Läuft bei: Play Suisse (2 Staffeln, 16 Episoden à 45 Min.; Netflix, nur Staffel 1)

Die erste Staffel vor gut einem Jahr ging an mir vorbei. Ich hatte keine Lust auf Schweizer Kuhstallkonflikte. Für die zweite Staffel bin ich aber von Anfang an eingetaucht in die Welt von Michi, Sarah und Lorenz, genannt Lolo.

Es begann vielversprechend und machte Hoffnung auf eine Art «Succession» auf dem Bauernhof. Die Konstellation war ziemlich ähnlich. Drei Geschwister (plus Mutter und griesgrämiges Grosi) und ein Betrieb, der eine:n Nachfolger:in braucht. Nur kehrt hier der Familienpatriarch nicht zurück an die Macht, weil er sich in der Scheune erhängt hat.

Drei Geschwister auf Konfliktkurs

Schnell beziehen die Geschwister Position. Lolo (Jérõme Humm), der Jüngste, will den Bauernhof, die titelgebende Neumatt, unbedingt behalten. Sarah (Sophie Hutter), die Tochter mit Bauerndiplom, betreibt jetzt ein Fitnessstudio und ist dauernd blank. Sie wittert Geld und will die Neumatt verkaufen.

Eine schwangere Frau mit Helm auf einem Moped. Auf dem Gepäckträger sitzt auch noch ein Mann.
Jessie und Lolo – ihnen würde man ein bisschen Glück gönnen, doch auch für sie wird es hart auf der Neumatt. © SRF

Zuletzt ist da Michi (Julian Koechlin), der Älteste, der es in die Stadt geschafft hat und dort den grossen Macker gibt. Er wirft als Consultant mit viel Denglisch um sich und zieht noch mehr Koks rein. Er hat andere Pläne für sein Leben, als in Kuhfladen zu waten.

Auf ihn hat der verstorbene Vater allerdings all seine Hoffnungen gesetzt, weil Michi der einzige in der Familie ist, der rechnen kann und damit den Konkurs des Hofs verhindern könnte. Diese Challenge aus dem Grab bekommt Michi im Abschiedsbrief seines Vaters.

Mehr Rosamunde Pilcher als «Succession»

Da wäre also das Spielfeld abgesteckt, um mit Intrigen und Machtkämpfen die eigenen Interessen durchzuboxen und die anderen Familienmitglieder kaltblütig zu hintergehen und abzuservieren.

Ein wenig passiert das auch am Anfang. Aber dann sackt die Serie ab auf Rosamunde-Pilcher-Niveau. Statt sich zu umarmen, um hinterrücks den Dolch in die Schulter zu rammen, ist plötzlich wieder Familienharmonie angesagt.

Je länger die Serie dauert, desto mehr zeigt sich: Es ist kein Klischee abgedroschen genug, um nicht bedient zu werden. Ganz zuvorderst dabei, wie die Welt des Business gezeichnet wird. Cooler Slang und Drogen – check, siehe oben.

Zwei Männer in Anzügen ohne Krawatte und eine Frau von hinten stehen auf einem Balkon mit Sicht auf eine Stadt und brüllen lauthals.
Masters of the Universe à la Neumatt: Über den Dächern der Weltmetropole Zürich wird der Erfolg gefeiert. © SRF / Sava Hlavacek

Dann kommen Chefinnen dazu, je eine für jede Staffel, deren Führungsqualität einzig darin besteht, rum zu kommandieren. Mitarbeiter:innenmotivation tönt dann so: «Die Lösung liegt morgen Mittag auf dem Tisch, sonst bist du gefeuert.» Aber hey, eine Chefin ist ja so wahnsinnig modern, dass sie ihr Baby im Büro stillt.

Nervige Nebenfiguren

Michi stellt seine herausragende Qualität als Consultant unter Beweis, indem er möglichst dreckige bis illegale Methoden anwendet. Das soll wohl den gnadenlosen Winnertypen aufzeigen. Selbst Kleinkinder haben aber wohl weniger absurde Vorstellungen von der Arbeitswelt, als das, was uns «Neumatt» vorsetzt.

Nervig sind auch einige Nebenfiguren. Die ewig mürrische und verstockte Grossmutter etwa, die am Ende der ersten Staffel sang- und klanglos rausgeschrieben wird. Oder Sarahs Tochter, ein Teenager mit Dauerschnutte.

Kurze Lichtblicke werden sofort zerstört

Es gibt wenige Lichtblicke. Lolo ist einer davon. Auch wenn seine Charakterisierung als nicht gerade helle, aber dafür mit dem Herz auf dem rechten Fleck nicht besonders originell ist, funktioniert seine Figur am besten.

Ihm gönnt man, dass er die Liebe findet und versteht, wenn er und seine Freundin gefrustet sind, dass ihnen Michi ihre Biopläne kaltschnäuzig abwürgt. Bei den beiden kann man wenigstens emotional einklinken.

Das macht «Neumatt» aber gleich wieder kaputt, in dem die Serie irgendein trendiges Thema als nächsten Konflikt verwurstet: Coming-Out, Vergewaltigung, Tiermisshandlung, Foodwaste – was einem halt gerade so einfällt beim Brainstorming im Writers Room.

Zwei Männer stehen auf einer Brücke über einem Fluss. Der eine macht eine zurückweisende Geste.
Noch einer, der nervt: Döme (Nicola Perot), der nicht darüber hinwegkommt, dass Michi (Julian Koechlin) ihn abserviert hat. © SRF / Sava Hlavacek

Manchmal, wenn ich mich wieder richtig aufregte, fragte ich mich, ob ich nicht ein bisschen zu streng bin mit «Neumatt». Bei anderen Serien drücke ich auch ein Auge zu, wenn sie mal ins Banale abgleiten oder einen Holzschnitt als Charakter hinstellen.

Nur Klischees und absehbare Konflikte

Das Problem bei «Neumatt» ist aber die Häufung an Unzulänglichkeiten. Man schlittert von einem Klischee zum nächsten einfallslosen Konflikt. Keine Zeit, um sich mal bei einem wenigstens etwas überraschenden Moment zu erholen.

Die gerade angekündigte dritte Staffel von «Neumatt» schaue ich mir höchstens an, wenn ich Lust zum Grölen und Lästern verspüre. Lieber widme ich mich den ebenfalls angekündigten neuen Staffeln von «Beschatter» – muss noch ein bisschen zulegen – und «Tschugger» – hält hoffentlich das Niveau.

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4 Stimmen

Besetzung: Julian Koechlin | Sophie Hutter | Rachel Braunschweig | Jérõme Humm | Anouk Petri | Nicola Perot | Roeland Wiesnekker | Benito Bause | Rumo Wehrli
Serie entwickelt von: Marianne Wendt
Genre: Drama
CH, 2021/2023

Die Beschatter (Staffel 1) – Basler Krimi kämpft mit Anlaufschwierigkeiten

Serienposter mit Schriftzug. Sechs Personen stehen in einer Halle und blicken in die Kamera.
3 von 5 Sternen

Läuft bei: Play Suisse (1 Staffel, 6 Episoden à 60 Min.)

Allein aus lokalpatriotischen Gründen würde ich «Die Beschatter» gerne hoch loben. Endlich ein Schweizer TV-Krimi, der in Basel spielt. In der Schweizer Stadt, die nach einheimischem Empfinden immer zu wenig Beachtung findet.

Die Figuren wachsen zu wenig ans Herz

Aber leider kann man der Serie keine Höchstnoten erteilen. Dafür hat sie zu viele Schwächen. Andererseits wird sie über die sechs Episoden immer besser und lässt in der zweiten Hälfte aufblitzen, welches Potenzial in der Geschichte und den Figuren steckt.

Die grösste Schwäche liegt in der Zeichnung der Charaktere. Die meisten Hauptfiguren sind zu schematisch entworfen und bekommen zu wenig Raum und Zeit, um ihren Hintergrund so auszuleben, dass sie uns ans Herz wachsen.

Drei Männer und eine Frau sitzen in einer Art Fabrikhalle auf Stühlen.
Vier Schüler:innen, die aus unterschiedlichen Motiven das Detektiv-Handwerk erlernen wollen: Henning (Martin Butzke), Milan (Dardan Sadik), Doro (Esther Gemsch) und Roger (Martin Rapold). © SRF/Sava Hlavacek
Wiesnekker überzeugt als schrulliger Ex-Polizist

Am wenigsten gilt das für den Chef der Truppe, Leo Brand (Roeland Wiesnekker). Das liegt einerseits an Wiesnekker, der einfach in seiner Rolle überzeugt. Andererseits bekommt seine Figur am meisten Raum für seine Geschichte.

Der Ex-Polizist Brand gründet aus finanzieller Not heraus eine Detektivschule. Schnell wird klar, dass sein letzter Fall ihn nicht nur seine Polizeikarriere, sondern auch seine Ehe und die Beziehung zur Tochter gekostet hat.

Der Serienmörder aus der Vergangenheit

Brand möchte darunter einen Schlussstrich ziehen. Doch dieser Fall eines Serienmörders mit dem Übernamen «Dornröschen-Killer» wird ihn auch in seiner neuen Rolle als Detektivausbilder verfolgen. Das verdankt er einer seiner Schülerinnen.

Eine Frau fotografiert mit ihrem Handy Notizen an einer Wand. Im Hintergrund ein Mann.
Der Mord an ihrer Mutter verbindet Agotha (Meryl Marty) mit ihrem Detektiv-Lehrer Leo Brand (Roeland Wisnekker). © SRF/Pascal Mora

Agotha Bayani (Meryl Marty) will Detektivin werden, weil sie das Schicksal ihrer Mutter aufklären will. Sie war eine Prostituierte und wurde Opfer des «Dornröschen-Killers». Damit liegt Agotha Brand dauernd in den Ohren und will seine Hilfe.

Agotha – der nervige Trotzkopf

Agotha wäre prädestiniert als zweite starke Figur in der Runde. Aber sie nervt in erster Linie. Meistens schmollt und tobt sie wie ein pubertierender Teenager, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf läuft. Dann stürzt sie sich, aber auch andere, kopflos in gefährliche Situationen.

Immerhin geht auch eine der berührendsten Szenen auf ihr Konto. Bei einem Abschiedskaraoke beweist Meryl Marty, dass sie schauspielerisch mehr Facetten drauf hat, als ihr ihre Rolle sonst zugesteht.

Schräge Fälle mit schrillen Figuren

Unter Wert eingesetzt sind auch Esther Gemsch als etwas klischierte Daig-Dame Doro Iselin und Martin Rapold als vorbestrafter Hochzeitsschwindler. Vor allem aber Dardan Sadik als Balkan-Secondo Milan Gjokaj würde man mehr Präsenz wünschen. Milan und sein Vater Prenk (Kamil Krejci) böten Potenzial für mehr Geschichten aus dem Leben in der Schweiz mit Migrationshintergrund.

Zwei Männer sitzen auf einer Couch. Sie tragen Fan-Utensilien des FC Basel.
Vater (Kamil Krejci) und Sohn Gjokaj (Dardan Sadik). Sie könnten die Story mit mehr anreichern als nur mit ihrer Begeisterung für den FC Basel. © SRF/Pascal Mora

Die Fälle, die Brand und seine Schüler:innen lösen müssen, sind schrill und schräg genug, um ansprechend zu unterhalten. Der Zolli als Tatort, Geschichten rund um den FC Basel und eine Pharmafirma geben zusätzliches Lokalkolorit, das allerdings wenig überrascht. Etwas mehr Einfallsreichtum des Writers Room hätte man sich gewünscht.

Wenig Publikumsliebe für «Die Beschatter»

«Die Beschatter» endet nach sechs Episoden mit einem vielversprechenden Cliffhanger (und nicht mitten in der Geschichte wie «Tschugger» 😉). Ob es allerdings weitergeht mit der Basler Krimiserie, scheint fraglich.

Die Zuschauer:innenzahlen sind enttäuschend. Man werde das «gründlich und selbstkritisch» analysieren, heisst es bei SRF. Abgesehen von den Schwächen, die ich bereits erwähnt habe, gibt es wohl noch andere Gründe für die fehlende Begeisterung beim Publikum.

Der Ex-Polizist ist hier halt nicht so knuddelig wie Mike Müller als «Bestatter». Auch einen trotteligen Doerig sucht man vergeblich. Stattdessen bekommt man eine Prostituiertentochter, einen Secondo, einen eitlen Knacki und eine Reihe anderer skurriler Figuren vorgesetzt. Das sind kaum Sympathieträger:innen für ein Durchschnittspublikum.

Ein Mann sitzt an einer Bartheke. Dahinter steht eine lächelnde Frau.
Imbissbudenbesitzerin Inci (Lale Yavas) sorgt für etwas Halt im Leben von Leo. © SRF/Pascal Mora
Potenzial für eine bessere zweite Staffel

Ob das Setting in einer Stadt und der Dialekt auch noch eine Rolle spielen? Wer weiss. Schade wäre es auf jeden Fall, wenn «Die Beschatter» schon nach einer Staffel bestattet würden.

Wie gesagt: Trotz anfänglicher Schwäche zeigt sich im Verlauf der Serie durchaus das Potenzial für eine solide Krimikomödie. Und wenn der Writers Room seinen Charakteren noch etwas mehr Leben schenkt, könnte sie sogar richtig gut werden.

Die Umfrage ist beendet

Wie viele Sterne gibst du «Die Beschatter» Staffel 1?
13 Stimmen

Besetzung: Roeland Wiesnekker | Meryl Marty | Esther Gemsch | Martin Rapold | Dardan Sadik | Martin Butzke | Martin Vischer | Lale Yavas
Serie entwickelt von: Francesco Rizzi | Simone Schmid
Genre: Komödie | Krimi
CH, 2022