Läuft bei: Apple TV+ (Mini-Serie, 7 Episoden à 50 Min.)
«Disclaimer» will beeindrucken. Mit einem Staraufgebot, das rund ein Dutzend Oscars hinter sich versammelt. Mit einer Geschichte, die in die menschliche Psyche eintaucht und unsere Wahrnehmung der Welt hinterfragt. Und mit einer üppigen Inszenierung, die fast zu schade ist für den Fernsehbildschirm. Aber am Schluss hat man keine tolle Geschichte gesehen, sondern lediglich eine Serie von einem Produzenten, Autor und Regisseur, der sich ganz toll findet.
Die Hauptdarsteller:innen trifft die geringste Schuld. Cate Blanchett, Kevin Kline und Sacha Baron Cohen verleihen ihren Figuren Glaubwürdigkeit in Lust und Leid, Verlust und Trauer. Man könnte ihnen jedoch vorwerfen, sich auf diese überkonstruierte Geschichte eingelassen zu haben.
Alfonso Cuarón, der wichtigtuerische Blender
Möglich, dass sie sich vom Namen blenden liessen, der hinter der Serie steckt: Alfonso Cuarón, der mit «Roma» und «Gravity» fünf Oscars gewonnen hat, zeichnet als Showrunner, Autor und Regisseur verantwortlich. Er trägt die Hauptverantwortung für die gestelzte, eitle und wichtigtuerische Attitüde, mit der «Disclaimer» über alle sieben Episoden nervt.
Worum geht es in «Disclaimer»? Um Sex, wie die erste Szene zeigt. Zwei Teenager im Zug am Bumsen. Den Höhepunkt erreicht er, als der Zug in einen Tunnel fährt. Womit uns Cuarón schon mal sagt, dass er seinen Hitchcock kennt, mit dessen legendärer Schlussszene von «North by Northwest» im Zug.
Und es geht um Wahrheit. Wahrheit, die manipulierbar ist aufgrund dessen, woran wir glauben. So warnt uns CNN-Starreporterin Christiane Amanpour ebenfalls gleich zu Beginn.
Das düstere Geheimnis aus der Vergangenheit
Amanpour, die echte, hält die Laudatio auf die fiktive Dokumentarfilmerin Catherine Ravenscroft (Cate Blanchett), die in «Disclaimer» mit einer unangenehmen Wahrheit aus ihrer Vergangenheit konfrontiert wird. Wobei man eben nie vergessen darf, dass Wahrheit manipulierbar ist.
Ein Buch, das Catherine zugeschickt wird, stellt ihr Leben auf den Kopf. «The Perfect Stranger» erzählt von einem jungen Mann, der in Italien von einer Frau verführt wird und ertrinkt, als er ihren Sohn aus dem Meer rettet.
Catherine erkennt sich wieder als jene Frau, die vor 20 Jahren mit ihrem Sohn Nick (Kodi Smit-McPhee) in Italien Urlaub machte. Ihr Mann Robert (Sacha Baron Cohen) hatte frühzeitig abreisen müssen.
Die Rache der Eltern
Geschrieben hat das Buch Nancy Brigstocke (Lesley Manville). Sie war die Mutter von Jonathan (Louis Partridge), dem jungen Mann, der damals ertrunken ist. Allerdings ist auch Nancy inzwischen verstorben. Ihr Mann Stephen (Kevin Kline) entdeckt das Manuskript von «The Perfect Stranger» erst jetzt, neun Jahre nach ihrem Tod.
Stephen beschliesst, Catherines Leben zu zerstören. Er veröffentlicht das Buch im Selbstverlag und schickt es an Catherines Mann, ihren Sohn und alle Mitarbeiter:innen ihrer Firma. Robert erhält zudem kompromittierende Fotos, die Jonathan von Catherine geschossen hat.
«Ätsch-Bätsch-Reingelegt!»
«Disclaimer» könnte also ein Psychodrama über einen verbitterten alten Mann sein, der eine eigensüchtige Frau zwingen will, die schreckliche Tat zu gestehen und zu büssen, die sie vor Jahren begangen hat. Ist es auch bis zur letzten Episode, in der alles auf den Kopf gestellt wird.
Diese Wendung in der Geschichte ist nicht subtil, sondern ein plumpes «Ätsch-Bätsch-Reingelegt!» und soll den Zuschauer:innen wohl ein schlechtes Gewissen einflössen, dass sie sich täuschen liessen.
Ich kann leider nicht ausführen, wie unsäglich dieser Twist ist, ohne zu spoilern. Vielleicht könnte man etwas darüber hinwegsehen, wenn «Disclaimer» nicht schon vorher genervt hätte. Vor allem mit der Szene, in der Catherine den jungen Jonathan verführt.
Softporno à la «Emmanuelle»
Nicht die Sexszene ist peinlich. Die ist einfach überlang und als Softporno à la «Emmanuelle» inszeniert (kein Wunder, dass Cate Blanchett als einzige nicht selber ihr jüngeres Ego spielt). Peinlich ist das Vorspiel, in dem Jonathan sabbernd seine Sexfantasien beschreibt und dabei dumpfbackige Grimassen schneidet.
Zu guter Letzt sei noch die Off-Stimme erwähnt, für die sich Indira Varma verpflichten liess. Als Erzählerin hält sie fest, was entweder offensichtlich ist oder nur gesagt werden muss, weil es das Schauspiel nicht vermittelt. Die Off-Texte klingen zudem oft wie aus einem schlechten Roman. Was die Vorlage für die Serie wahrscheinlich auch ist.
«Disclaimer» ist nicht nur eine Enttäuschung, weil man von so einem Staraufgebot viel mehr erwarten darf. Die Serie ist ausgesprochen ärgerlich, weil sie aufgeblasen daherkommt und ihre Zuschauer:innen am Schluss verhöhnt.
Besetzung: Cate Blanchett | Kevin Kline | Sacha Baron Cohen | Lesley Manville | Louis Patridge | Leila George | Indira Varma | Kodi Smit-McPhee | Hoyeon | Art Malik
Serie entwickelt von: Alfonso Cuarón
Genre: Drama | Thriller
GB/USA, 2024
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