Läuft bei: Disney+ (Mini-Serie, 8 Episoden à 50 Min.)
Es mag Zufall sein, dass fast gleichzeitig zwei neue Serien anlaufen, die sich mit dem Holocaust beschäftigen: «The Tattooist of Auschwitz» bei Sky Show und auf Disney+ «We Were the Lucky Ones». Beide Serien beruhen auf wahren Begebenheiten.
Das Thema der Judenvernichtung durch die Nazis aufzugreifen, passt in die heutige Zeit, in der Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch ist. Daran zu erinnern, dass diese Geisteshaltung für den Tod von Millionen von Jüd:innen verantwortlich ist, ist sicher richtig.
Aufwühlend, aber auch eindimensional
Aber sind diese Serien dazu geeignet? «We Were the Lucky Ones» würde ich eher als «verdienstvoll» bezeichnen. Ein Prädikat, das offensichtlich nicht Begeisterung ausdrückt, sondern mehr darauf verweist, dass die Serie die Erwartungen erfüllt.
Die Geschichte der jüdischen Familie Kurc, die wir kennenlernen, als sie 1938 in der polnischen Stadt Radom das Passahfest feiern, ist in vielen Aspekten aufwühlend und bewegend. Aber sie erzählt wenig Neues und die Figuren wirken teilweise seltsam eindimensional. Die Serie verlässt sich zu sehr darauf, dass wir die historischen Ereignisse hinter der Geschichte kennen, und bezieht daraus ihre emotionale Wirkung.
«We Were the Lucky Ones» hat aber auch Stärken. Halina (Joey King), die jüngste Tochter, sticht aus der Figurenkonstellation heraus. Während ihre Geschwister und Schwäger:innen anfänglich kaum Konturen entwickeln, überstrahlt sie alle mit ihrer Lebhaftigkeit und einer unbändigen Neugier auf die Zukunft.
Nicht nur wehrlose Opfer
An ihr liegt es denn auch, für ihre Familie, vor allem für die Eltern, zu sorgen, als diese Zukunft zu einer äusserst düsteren Gegenwart wird. Mit Halina und ihrem Freund Adam (Sam Woolf) fokussiert die Serie dabei für einmal nicht nur auf Jüd:innen als wehrlose Opfer, sondern darauf, wie einige im Untergrund gegen die Nazis Widerstand leisteten.
Zu guter Letzt erleidet die Familie Kurc nicht das Schicksal der meisten Jüd:innen im Zweiten Weltkrieg. Die Eltern, ihre Söhne und Töchter werden zwar gedemütigt, gequält und gefoltert, aber sie überleben. Als sie sich nach dem Krieg wiederfinden, spielen sich äussert emotionale Szenen ab, die niemanden unberührt lassen.
Gleichzeitig fragt man sich aber auch, welche Botschaft hier gesendet wird. Ist es das, was Adam sagt, als er erfährt, dass seine Familie ausgelöscht wurde: «Hätte ich nur so für sie gekämpft wie Halina für ihre Familie»? Intendiert ist diese Aussage wohl kaum, aber die Darstellung der Ereignisse lässt diesen Schluss durchaus zu.
Die Familiensaga übertüncht das Grauen
Aus meiner Sicht ist das das Grundproblem von «We Were the Lucky Ones». Es ist weniger eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust als eine Familiensaga. Sie erzählt, wie eine Familie auseinandergerissen wird und dank ihres unbändigen Willens wieder zueinanderfindet.
In welchem Kontext sich das abspielt, ist zwar nicht egal. Aber es könnte auch die Geschichte einer Familie sein, die versklavt wird, oder die durch ein anderes aussergewöhnliches Ereignis getrennt wird.
Deshalb ist «We Were the Lucky Ones» am Schluss zwar ein bewegendes Drama über menschliches Leid (und am Schluss Freude). Aber Antisemitismus und das unfassbare Grauen des Holocaust werden durch die Geschichte über unverbrüchliche Familienbanden zu sehr in den Hintergrund gedrängt.
Besetzung: Joey King | Logan Lerman | Hadas Yaron | Robin Weigert | Lior Ashkenazi | Amit Rahav | Eva Feiler | Henry Lloyd-Hughes | Moran Rosenblatt | Sam Woolf
Serie entwickelt von: Erica Lipez
Genre: Drama | Historie
USA, 2024
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